Der Erfolg beim Volksentscheid überrascht selbst die Initiatoren. Künast spricht von kalter Dusche für Wowereit. Der aber wertet das Ergebnis als Rückendeckung. Ein Artikel aus der taz von VON STEFAN ALBERTI UND SVENJA BERGT.
Um 19.19 Uhr, noch vor dem Ende der Auszählung, ist das Ergebnis klar: Der Volksentscheid über die Offenlegung der Wasserverträge ist erfolgreich. Bei einer Wahlbeteiligung von 27,5 Prozent stimmten über 98 Prozent für das Anliegen des Berliner Wassertisches. Damit ist erstmalig in der Stadt ein Gesetz per Volksentscheid durchgesetzt worden.
„Großartig“, kommentiert Michel Tschuschke vom Wassertisch das Ergebnis. Für die Anhänger war es ein Zittern bis zur letzten Minute. Nachdem die Landeswahlleiterin bis zum Mittag lediglich eine Beteiligung von 8,6 Prozent meldete und damit einen Erfolg sehr unwahrscheinlich aussehen ließ, stieg die Zahl bis 16 Uhr auf 21,6 Prozent. Plötzlich rückte das Zustimmungsquorum von 25 Prozent in greifbare Nähe. Anzeige
Insgesamt waren 2,47 Millionen Berliner dazu aufgerufen, über den Gesetzesentwurf der Initiative Berliner Wassertisch abzustimmen. Der Entwurf sieht vor, dass die 1999 geschlossenen Verträge über die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe offengelegt werden sollen. Damals waren 49,9 Prozent des Unternehmens für rund 3,3 Milliarden Mark an private Investoren verkauft worden. Der Haken: Der Vertrag garantiert den Unternehmen hohe Renditen – die in der Konsequenz die Wasserpreise steigen ließen.
Die Mehrheit des Abgeordnetenhauses lehnte den Gesetzesentwurf der Volksinitiative ab. Politiker der Regierungsfraktion argumentieren, dass eine in dem Entwurf enthaltene Klausel, nach der nicht offengelegte Vertragsbestandteile ungültig sein sollten, verfassungswidrig sei.
Umstritten ist außerdem, ob tatsächlich noch Vertragsbestandteile geheim gehalten werden. Nachdem die taz im Herbst einen Großteil der Verträge veröffentlichte, stellte der Senat Anfang November mehrere hundert Seiten ins Internet – und erklärte, dass es sich dabei um den gesamten Vertrag handle. Der Wassertisch geht aber davon aus, dass noch nicht alles bekannt ist.
„Wir sind noch in Schockstarrre, aber wenn wir die überwunden haben, dann geht das Feiern los“, reagierte die Grünen-Abgeordnete Heidi Kosche auf das Ergebnis. Sie war eine tragende Säule des Volksbegehrens.
Für den Vorstandssprecher des Vereins „Mehr Demokratie“, Michael Efler, ist es schlicht „sensationell, dass es gerade eine Initiative mit so geringen finanziellen Ressourcen geschafft hat.“ Die Bedeutung endet für ihn nicht an den Landesgrenzen: „Das wird gewaltigen Rückhalt für die direkte Demokratie geben, innerhalb und außerhalb Berlins.“ Dieser erste erfolgreiche Volksentscheid werde mehr Menschen daran glauben lassen, „dass sie mit direkter Demokratie etwas bewegen können.“
„Die Berlinerinnern und Berliner haben die Politik daran erinnert, wer der eigentliche Souverän ist“, sagt Carl Waßmuth vom Verein Gemeingut in BürgerInnenhand. Er rechnet damit, dass Vertragsbestandteile auftauchen, die bislang geheim gehalten wurden.
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sieht das Ergebnis nicht als Niederlage. Es zeige, dass die Berliner Transparenz beim Umgang mit öffentlichem Eigentum wollten, sagt er. „Das betrachte ich auch als Rückendeckung für das Ziel des Senats, privatisierte Anteile an den Wasserbetrieben zurückzukaufen.“ Die Grüne Renate Künast, die Wowereit bei im September ablösen will, sah eine „klare kalte Dusche“ für den Regierungschef und Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei). Wolf hatte mitgeteilt, dass er nicht abstimmen wolle. Linkspartei-Landeschef Klaus Lederer sagte, angesichts des Ergebnisses habe er „Respekt“ vor den Initiatoren des Volksbegehrens.
Nach Logik der rot-roten Koalition müsste es demnächst eine Klage gegen den umstrittenen vierten Paragraphen des Gesetzes geben. Dort ist festgeschrieben, dass Vertragsbestandteile nichtig werden, wenn sie nicht offen gelegt werden. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) ging im November davon aus, dass die Privaten bei einem erfolgreichen Volksentscheid sofort beim Berliner Verfassungsgericht klagen.