Die Radikale Linke ruft zur “Revolutionären 1. Mai Demo” mit dem Leitsatz “Gegen die Stadt der Reichen” auf: “Berlin ist eine kapitalistische Metropole. Den einen dient sie als Feld lukrativer Geldanlage. Den anderen beschert sie einen Alltag aus Ausbeutung, Fremdbestimmung, Sorgen und Diskriminierung.” Der Tag der Arbeit soll an die Arbeiter*innen-Bewegung erinnern und sozial Schwachen eine Stimme geben. Insbesondere in Kreuzberg soll er mahnen, dass wir uns mit den sozialen Missständen unserer Gesellschaft nicht zufrieden geben dürfen. Tut er das noch?
Der Tag der Arbeit ist ein kommerzieller Erfolg
Der politische Charakter des 1. Mais hat sich durch die Organisation des MyFestes verloren. Um den Krawallen und linksradikalen politischen Protesten Platz und Dynamik zu nehmen, versucht das MyFest eine friedliche Atmosphäre zu schaffen. Hans-Georg Lindenau, Urgestein der Berliner linken Protest-Bewegung und Besitzer des M99 — Gemischtwarenladen mit Revolutionsbedarf meint, dass das eine Verfremdung sei. Der 1. Mai sei ein Fest für Tourist*innen geworden, die sich um soziale Belange der Umgebung nicht kümmern: “Beim MyFest möchten alle Geld verdienen und extra arbeiten und konterkarieren so den Tag der Arbeit.” Auch die Veranstalter*innen der Demo sehen Probleme: “Wir denken nicht, dass unter den gegebenen Bedingungen eine politische Demonstration in Kreuzberg möglich ist. Die Aufstandsbekämpfungsstrategie von Bezirk und Senat – Maifest und MyGörli – hat den Kiez an diesem Tag in ein Ballermann-Festival verwandelt, in dem jede Demonstration im Suff-Techno-Konsum-Spektakel untergeht – oder noch schlimmer, als Teil des besonders coolen Berliner Tourismus-Charmes erscheint.”
Protest mit Tradition
Die Revolutionäre 1. Mai Demo in Kreuzberg folgt einer 32-jährigen Tradition: eine hohe Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen und Migrant*innen und die aktive Hausbesetzer*innen-Bewegung führte mit dem Frust über die prestigeträchtige 750-Jahr-Feier Berlins zu einer angespannten Stimmung in SO36. Als am Tag vor dem 1. Mai 1987 das Volkszählungsboykott-Büro von der Polizei durchsucht und eine spontane Demo am Lausitzer Platz verhindert wurde, schlug die Stimmung in Kreuzberg um. Eine Nacht wurde in SO36 protestiert und randaliert. Die Polizei konnte die Gegend erst am nächsten Morgen zurückerobern. Symbol für die Ausschreitungen, die ihren Weg in eine Vielzahl internationaler Medien fanden, ist der Brand des Supermarktes Bolle.
Dabei war der nun gerade das Werk eines unpolitischen Pyromanen, der den Moment nutzte und – die Molotov-Cocktails der autonomen Szene belächelnd – seine eigenen zückte.
Es geht weiter, aber wie?
Die Demo nimmt seitdem immer Bezug auf die Proteste von 1987. Dementsprechend ist sie eine hoch ritualisierte Veranstaltung. Was davon im Rest der Gesellschaft ankommt, ist ebenso Kult: Bilder von Partys und Randalen, die meist nichts mit der Demo zu tun haben. Und obwohl die
Demos der letzten Jahre – immer noch beträchtlich in ihrer Größe – kaum ausarten und friedlich ablaufen, kommt von der politischen Nachricht nicht viel an. Die Medien berichten lieber von brennenden Autos oder zerschlagenen Fensterscheiben, statt komplexe Hintergründe und Strukturen darzulegen.
Politische Aktionen sind dann effektiv, wenn sie große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregen. Das tun sie typischerweise, indem sie kontrovers oder überraschend sind. Die Disruptivität der Proteste 1987, 1988 und 1990 haben sie erfolgreich gemacht. Heute schweißt die rituelle Demo die linke Szene zwar zusammen, überraschen tut sie jedoch niemanden mehr. Was nun aus dem geschichtsträchtigen 1. Mai in Kreuzberg wird, bleibt offen. Dabei ist es immer wieder wichtig, linksradikale Kritik auf die Straße zu bringen. Ein Vorschlag der Radikalen Linken: Sie wollen die Demo nach Friedrichshain verlegen.
Rebecca Eilfort für den Stachel Mai 2019