Initiator*innen: B’90 Die Grünen/SPD, Werner Heck, Sebastian Forck
Antrag
Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen:
Die Bezirksverordnetenversammlung unterstützt das Engagement der Gustav Landauer Denkmalinitiative, mit der Errichtung eines Denkmals in Friedrichshain-Kreuzberg des 1919 ermordeten Anarchisten, Pazifisten, Sozialisten, Schriftstellers, Kritikers und Philosophen Gustav Landauer zu gedenken und damit auch an sein vielfältiges Wirken in Berlin und insbesondere Friedrichshain-Kreuzberg zu erinnern.
Das Bezirksamt wird deshalb beauftragt:
1. Gemeinsam mit der Gustav Landauer Denkmalinitiative Person, Biographie und Wirken Gustav Landauers in Berlin und insbesondere Friedrichshain-Kreuzberg über die bereits geplante Ausstellung hinaus in Form von geeigneten Veranstaltungen wie Vorträgen zu seiner Biographie, seinem Werk und Wirken oder Lesungen aus seinen Schriften einer interessierten Öffentlichkeit im Bezirk in Erinnerung zu bringen bzw. vorzustellen.
2. Die Gustav Landauer Denkmalinitiative bei der Realisierung des Denkmals für Gustav Landauer durch die Bereitstellung eines geeigneten Ortes im öffentlichen Raum für die Errichtung des Denkmals in Friedrichshain-Kreuzberg zu unterstützen, der möglichst in Bezug zu Biographie und Wirken Gustav Landauers in Berlin stehen sollte, welcher beispielsweise immer wieder als Redner im heutigen Ballhaus Naunynstraße aufgetreten ist und hat als Redakteur in der Redaktion der Publikation „Der Sozialist“ in der Wrangelstr. 135 gearbeitet.
3. Die Gustav Landauer Denkmalinitiative beim Prozess der konkreten Realisierung und künstlerischen Gestaltung des Denkmals zu begleiten und bei der Akquise der dazu notwendigen Mittel zu unterstützen.
Begründung:
Das Werk und das Wirken Gustav Landauers (1870-1919) erlebt gegenwärtig eine umfassende Neuentdeckung. Hierbei wird eine bedeutende Persönlichkeit sichtbar, die sehr eng mit Berlin-Kreuzberg verbunden war und die kulturellen und politischen Entwicklungen jener Zeit mitgeprägt hat.
Als politischer Publizist gab Landauer zwischen 1891 und 1915 die Zeitung „Der Sozialist“ heraus, deren Redaktionen in Kreuzberg und Friedrichshain bestanden, längere Zeit in der Wrangelstraße 135 (kriegszerstört), direkt am Mariannenplatz. Die Druckerei befand sich am Heinrichplatz. In seinem umfangreichen publizistisches Wirken griff er bereits äußerst früh heute überaus aktuelle Themen auf: Demokratisierung der Gesellschaft, Wiederanschluss an die Natur, frühe Globalisierungskritik, Reformpädagogik, Menschenrechtsverletzungen als globales Problem, selbstbestimmte Lebens- und Wohnformen, gerechte ökonomische Verhältnisse usw.
Viele dieser Themen behandelte er auch in seinen zahlreichen Reden, die er vor allem in den großen Sälen Kreuzbergs und Friedrichshains hielt. Er war als Redner außerordentlich beliebt und oft fanden sich in den vollbesetzten Sälen bis zu 2.000 Personen zu seinen Vorträgen ein. Im Saal des heutigen „Ballhauses Naunynstraße“ in der Naunynstr. 27 sprach Landauer oft vor Gewerkschaftsgruppen, so etwa im November 1910 zum Thema „Notwendigkeit und Möglichkeiten von Freien Schulen in Deutschland oder am 13.11.1911 über „Regierung, Demokratie, Bürokratie und Selbstbestimmung. In der Muskauer
Straße 25, in einem früheren Restaurant referierte er wiederholt über den „Freien Arbeitertag“ und andere Themen.
Im Rahmen seiner langjährigen Tätigkeit im künstlerischen Ausschuss der Volksbühne verhalf er zahlreichen, insbesondere naturalistischen und expressionistischen Autoren zum Durchbruch, die sich der Moderne verpflichtet sahen. Dabei spielte auch die Experimentalbühne in der Köpenicker Straße eine große Rolle.
Für Kreuzberg bedeutsam war die Gründung einer der ersten Konsumgenossenschaften in der Kottbusser Straße 11, die auch der ärmeren Bevölkerung den kostengünstigen Einkauf ermöglichte. Während der Liberale Hermann Schulze-Delitzsch den Genossenschaftsgedanken auf den Materialeinkauf freier Handwerker beschränkte, trug Landauers frühe Schrift von 1895 „Ein Weg zur Befreiung der Arbeiterklasse“ (1895) erheblich dazu bei, den Gedanken der Konsumgenossenschaft auch in Deutschland populär zu machen. Landauerzeichnete als einer der ersten die Genossenschaftsanteile.
Ab 1908 sorgte er für Verkaufsstellen von gesunden und frischen Nahrungsmitteln, die aus der Kolonie „Eden“ bei Oranienburg bezogen wurden, beispielsweise in den Redaktionsräumen des „Sozialist“. Einzigartig für seine Zeit war seine Initiative zur Verhinderung des Ersten Weltkriegs.
Als ab 1911 die Zeichen, die auf eine bevorstehende kriegerische Auseinandersetzung der europäischen Staaten deuteten, unübersehbar wurden, rief er die Arbeiter mit einer Broschüre zur Bildung eines „Freien Arbeitertages“ auf, der als Beratungsgremium der Arbeiterschaft gegenüber der Regierung fungieren und gegen die Mobilisierung der Arbeiter als Soldaten Stellung beziehen sollte. Durch die rechtswidrige Beschlagnahme der schon gedruckten Exemplare verhinderte der preußische Staat die Verbreitung. Auch während des Krieges setzte sich Landauer in verschiedenen internationalen Initiativen für einen Verständigungsfrieden ein.
Nach dem Krieg und dem Beginn der Novemberrevolution von 1918 wurde Gustav Landauer 1919 in der Münchener Räterepublik „Volksbeauftragter für Volksaufklärung“, vergleichbar mit dem Rang eines Kultusministers. Seine erste Amtshandlung bestand darin, die Prügelstrafe und die Aufsicht der Kirche über die bayerischen Schulen abzuschaffen. Nachdem die von der USPD (unter dem Vorsitz von Ernst Toller), Pazifisten oder Anarchisten um Erich Mühsam gebildete und von der Mehrheits-SPD tolerierte Räteregierung durch Funktionäre der KPD um Eugen Leviné und Max Levien übernommen wurde, erklärte Landauer, enttäuscht von deren Politik, am 16. April 1919 seinen Rücktritt von all seinen politischen Funktionen und Ämtern.
Nach der Niederschlagung der Münchener Räterepublik durch rechte Freikorpsverbände wurde Landauer am 1. Mai 1919 verhaftet und am 2. Mai 1919 von einer Soldateska schwer misshandelt und schließlich ermordet. Das Grabdenkmal, das in der Weimarer Republik zu seinem Gedenken errichtet wurde, wurde noch im Juni 1933 von den Nationalsozialisten zerstört.
Friedrichshain-Kreuzberg, den 22.05.2018
Antragsteller*innen: Bündnis 90 Die Grünen, Werner Heck/SPD, Sebastian Forck