Flucht, Emigration, Exil: Themen, die aktueller sind denn je – und gleichzeitig ein wichtiger Teil der jüngeren deutschen Geschichte. Hunderttausende Menschen mussten sich ihrer Verfolgung im Nationalsozialismus durch Auswanderung entziehen. Eine Initiative will an sie erinnern – mit einem Exilmuseum am Anhalter Bahnhof.

Was haben Marlene Dietrich, Bert Brecht und Max Horkheimer gemeinsam? Sie alle waren Flüchtlinge, die in der Zeit des Nationalsozialismus emigrieren mussten. Zwischen 1933 und 1945 verließen eine halbe Millionen Menschen das Deutsche Reich, um sich vor dem Nazi-Terror ins Exil zu retten. Darunter waren viele Menschen jüdischer Abstammung, aber auch Personen, die allein aufgrund ihrer politischen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Betätigung vom Hitler-Regime verfolgt wurden. 

Schon lange steht die Idee im Raum, die Geschichte des deutschen Exils im Nationalsozialismus an einem Ort in Berlin zu erzählen. Denn die spielt trotz diverser Einzelausstellungen und wissenschaftlicher Forschungsprojekte im kollektiven Gedächtnis bislang eine eher untergeordnete Rolle. Dabei war und ist diese Exilgeschichte weit mehr als die Summe tragischer Einzelbiographien. Die Lücke, die der Nationalsozialismus durch die Zwangsemigration etwa in der deutschen Kultur- und Wissenschaftslandschaft gerissen hat, konnte zum Teil nie wieder geschlossen werden. Umgekehrt haben die Emigrant*innen auch in den Aufnahmeländern Spuren hinterlassen: Etwa Billy Wilder mit seinem Hollywood-Kino, oder Walter Gropius , mit dem das Bauhaus auch zu einer globalen Architektur-Bewegung wurde. Die Nachkommen der  Exilant*innen von damals und die Nachwirkungen des gewaltsam herbeigeführten Kulturtransfers sind heute in New York und Tel Aviv genauso wie in Shanghai und La Paz anzutreffen.

Die Spur führt nach Kreuzberg 

Eine Spur der deutschen Exilgeschichte führt auch nach Kreuzberg, an den Anhalter Bahnhof. Wovon heute nur noch der Portikus als Ruine übrig geblieben ist, das war bis zu seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg der größte Personenbahnhof Berlins. Seit 2008 erinnert eine Stele an der Stresemannstraße daran, dass von hier aus tausende jüdische Berliner*innen deportiert worden sind, überwiegend in das Konzentrationslager Theresienstadt. Weitgehend unbekannt ist, dass von hier aus auch viele Exilant*innen ihre Reise ins Ungewisse antraten.

Aus Sicht der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller und des Kunsthändlers Bernd Schultz ist der Anhalter Bahnhof deshalb der perfekte Ort für ihr Vorhaben: die Gründung eines Exilmuseums. Seit Jahren verfolgen sie und ihre Mitstreiter*innen die Idee, mit den Erlösen aus Schultz’ eigener Kunstsammlung der Erinnerung an die deutschen Exilgeschichte einen dauerhaften Platz in Berlins Museumslandschaft zu sichern. Die Stiftung Exilmuseum (in Gründung) möchte dafür auf der schmalen Brachfläche zwischen Denkmalruine und Sportplatz einen Museumsbau errichten. Der Fokus der zukünftigen Ausstellung soll auf der deutschen Zwangsemigration im Nationalsozialismus liegen und anhand persönlicher Schicksale die historischen Hintergründe und Zusammenhänge ausleuchten. „Erziehung zur Anteilnahme“, nennt Schirmherrin Müller die Intention hinter dem Projekt – und schlägt dabei ganz bewusst eine Brücke in die Gegenwart.

Die Faszination, die von der Idee eines Exilmuseums ausgeht, ist eine doppelte: Hier bietet sich die Chance, an die deutsche Geschichte von Flucht, Exil und Diaspora nach 1933 zu erinnern und sie gleichzeitig als Teil einer globalen Migrationsgeschichte zu erzählen. Und die ist in einer Zeit, in der weltweit 65 Millionen Menschen auf der Flucht sind, aktueller denn je.

Möge die Debatte beginnen

Offene Fragen gibt es aber auch noch mit Blick auf das Projekt Exilmuseum selbst: Darf die deutsche Exilgeschichte alleine dem (ehrenwerten) Engagement einer privaten Stiftung überlassen bleiben – oder ist die Erinnerung daran nicht auch eine öffentliche Aufgabe?Gelingt es den Ausstellungsmacher*innen , die Geschichte des Exils nicht nur anhand einer Auswahl prominenter Einzelbiographien sichtbar zu machen – sondern in aller ihrer historischen Komplexität und gesellschaftlich-politischen Aktualität auszuleuchten? Ist der Anhalter Bahnhof wirklich der richtige Ort – oder droht dessen Denkmalcharakter am Ende hinter dem Projekt zu verschwinden? Wie würde sich ein solches Haus zur nahegelegenen Topographie des Terrors und dem geplanten Dokumentationszentrum Flucht und Vertreibung verhalten?

 Zwingende Voraussetzung für eine Realisierung am Anhalter Bahnhof ist die Änderung des Bebauungsplans, der die Brache hinter dem Portikus derzeit  als Grünfläche ausweist. Und auch die Denkmalbehörden werden bei dem Vorhaben mitreden wollen. Dessen Erfolg wird   davon abhängen, wie transparent und partizipativ die Initiator*innen ihr Museumsprojekt anlegen, gerade bei einem städtebaulich so anspruchsvollen Standort. Und wie konstruktiv-kritisch sie dabei von der Berliner Öffentlichkeit und Kulturpolitik begleitet werden. Möge die Debatte beginnen.

Daniel Wesener, Kulturpolitischer Sprecher der Grünen Abgeordnetenhausfraktion für den Stachel august 2018

Mehr Informationen unter: https://stiftung-exilmuseum.berlin/de