Der auch Bullenwinkel genannte kleine Platz am westlichen Ende des Naunynstraße wird nach Maria Gräfin von Maltzan benannt. Damit ehrt der Bezirk eine mutige, unangepasste und nicht nur während der Naziherrschaft widerständige Frau, die vielen Kreuzberger*innen noch in lebhafter Erinnerung sein dürfte.
Maria Gräfin von Maltzan kommt 1909 auf Schloss Militsch bei Breslau zur Welt. Trotz familiärer Widerstände macht sie 1927 ihr Abitur an der Elisabeth-Schule in Kreuzberg. In Breslau und München studiert sie Zoologie, Botanik und Anthropologie und arbeitet danach als Dolmetscherin und freie Journalistin. Sie ist in der Münchener Bohéme unterwegs, engagiert sich im Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Die Gestapo lädt sie mehrmals zu Verhören vor. „Das Pflaster in München fing an, zu heiß für mich zu werden“, erzählt sie in ihrer Autobiographie. 1935 zieht sie nach Berlin, studiert Veterinärmedizin, arbeitet beim Roten Kreuz und im Tierheim Lankwitz. Auch in Berlin engagiert sie sich im Widerstand. Noch bevor sie ihren späteren Mann, den jüdischen Schriftsteller Hans Hirschel kennen lernt, den sie vor den Nazi-Schergen verstecken wird, nimmt sie 1937 einen Mann auf, der aus dem KZ Sonneberg entkommen konnte. Insgesamt mehr als 60 Menschen wird sie das Leben retten: Sie besorgt gefälschte Papiere, hilft als Fluchthelferin, bietet Unterschlupf. Dafür wird sie als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt werden. Sie überlebt Naziherrschaft und Krieg, verwirklicht ihren Traum einer eigenen Tierarztpraxis. Doch schon 1949 wird ihr wegen der Abhängigkeit von Aufputsch- und Schmerzmitteln die Approbation entzogen. Sie schafft schließlich den Entzug, lebt zunächst von Sozialhilfe, kämpft, bis sie ihre Zulassung wiedererlangt. Anfang der 80er Jahre kehrt sie nach Kreuzberg zurück, kümmert sich in einer ihrer Praxis am Oranienplatz auch um die Hunde der Kreuzberger Punker*innen. In ihren Memoiren „Schlage die Trommel und fürchte dich nicht“ schreibt sie: „Meine Praxis ist zwar nur klein, aber ich bin in diesem Viertel geachtet, und ich habe mich mit der sehr bunten Jugend, den Punks und Alternativen, großartig arrangiert. Wenn ich abends mit meinen Hunden nach Hause komme und die Gestalten, die ich so treffe, auch manchmal etwas seltsam aussehen, so habe ich doch das Gefühl, unter Freunden zu sein.“
Eine fast einstimmige Entscheidung
Nachdem die Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg bereits im Jahr 2018 beschlossen hatte, ein Diskussions- und Beteiligungsverfahren zur Benennung des auch „Bullenwinkel“ genannten Platzes am westlichen Ende der Naunynstraße nach Maria von Maltzan zu initiieren, fand Anfang April 2019 eine gut besuchte Veranstaltung im FHXB-Museum statt, wo Anwohner*innen und Interessierte diesen Vorschlag diskutieren und bewerten konnten. Nach Vorstellung der Person Maria von Maltzans und ihres Wirkens in Kreuzberg und einer angeregten Diskussion, begrüßten bis auf eine Anwohnerin alle Anwesenden* die Benennung nach Maria von Maltzan. Dennoch wurde vereinbart, noch über den Sommer hinweg Gelegenheit zu geben, die Diskussion zu vertiefen und gegebenenfalls auch andere Vorschläge einzubringen. Falls solche nicht eingehen sollten, würde der Ausschuss für Kultur und Bildung der BVV die Ehrung von Maria von Maltzan durch die Benennung des „Bullenwinkels“ empfehlen. Was nun geschehen ist. Da der Platz keine direkten Anwohner*innen hat, die Adressen Naunynstraße 38–53 erhalten bleiben und damit niemand als direkt Betroffene* widerspruchsberechtigt ist, könnte die Ehrung vielleicht sogar an ihrem 111 Geburtstag vollzogen werden, dem 25. März 2020.
Werner Heck, Bezirksverordneter für den Stachel September 2019