Berlin, den 29.01.2024 Sollte sich die BVV gegen den Bebauungsplan für die Urbane Mitte aussprechen, besteht für den Vorhabenträger kein vertraglicher Anspruch auf Entschädigung.

Das bestätigt ein von der BVV gefordertes und vom Bezirk beauftragtes externes Rechtsgutachten zur Wirksamkeit des Rahmenvertrages von 2005.

Fraktionsvorsitzende Sarah Jermutus erklärt dazu: „Schon lange haben wir das Vorhaben kritisiert – wie auch Anwohner*innen-Initiativen. Das Projekt ist aus klima- und stadtentwicklungspolitischer Sicht nicht zeitgemäß.“

„Insbesondere die laut Rahmenvertrag festgelegte Baumasse haben wir in den vergangenen Jahren immer kritisch gesehen. Bislang wurde immer mit hohen Entschädigungssummen gedroht, sollten die Planungen geändert oder gestoppt werden. Dadurch war bisher die freie Entscheidungsfindung der BVV zu dem Bauvorhaben beeinträchtigt, da wesentliche Eckpfeiler des Vorhabens durch einen Rahmenvertrag festgelegt wurden. Damit wurde auch einer freien Entscheidung vorgegriffen, welche Baumassen hier städtebaulich verträglich sind.“

„Auch der Rahmen des Bebauungsplans wurde gesetzt, bevor die BVV überhaupt über den dafür nötigen Bebauungsplan beraten konnte. Aus diesem Grund konnte das Vorhaben in den letzten Jahren auch eher begleitet als wirklich gestaltet werden. Mit dem neuen Gutachten werden somit die Rechte der BVV als gewählte Vertretung der Friedrichshain-Kreuzberger*innen gestärkt.“

Im nächsten Schritt muss das nun vorliegende Gutachten ausgewertet und die Handlungsspielräume des Bezirkes identifiziert werden.

„Die Pläne müssen nun überarbeitet und angepasst werden“, so Jermutus. „Das Vorhaben, wie es bisher vorliegt, ist kein Zukunftsmodell für Berlin und schafft keinen Mehrwert für die Einwohner*innen. Stattdessen wird großflächig versiegelt und der Gleisdreieckpark in den Schatten von Hochhäusern gestellt. Es braucht mindestens weniger Gebäude, in weniger Höhe.“

„Friedrichshain-Kreuzberg braucht nicht noch mehr Bürotürme, sondern bezahlbaren Wohnraum und Raum für soziale Infrastruktur. Neue Bauvorhaben müssen Klimaschutz und Klimaanpassung ernst nehmen, nicht dem entgegenstehen. Dazu brauchen die Bezirke Planungshoheit, die nicht durch Millionenstrafen in uralt-Verträgen beschnitten werden darf!“

 

Zum Hintergrund:

Im Rahmenvertrag von 2005 zum Verkauf des Grundstücks „Urbane Mitte“ wurde ein Entschädigungsmechanismus festgelegt, wenn der Bezirk von den im Rahmenvertrag festgelegten Baumassen abweicht. Dieser Mechanismus ist unwirksam, so das Gutachten. Damit wird die Entscheidungsfreiheit der BVV gestärkt.

Sowohl die Grüne Fraktion als auch Anwohner*inneninitiativen kritisieren das Projekt „Urbane Mitte“ schon lange. Die Errichtung von Bürohochhäusern am und im Gleisdreieckpark verschattet die Umgebung; versiegelt Böden im Bezirk, der dringend mehr Entsiegelung braucht; und schafft keinen Wohnraum, wo dringend mehr benötigt wird. Die Planung geht an den Bedarfen der Bevölkerung vorbei. Dem Bezirk waren jedoch durch die im Rahmenvertrag festgelegten drohenden hohen Entschädigungssummen die Hände gebunden – auch als längst deutlich wurde, dass die geplante Bebauung nicht mehr zeitgemäß ist.

Das Gutachten hat auch berlinweit große Bedeutung für andere kritische Bauvorhaben: Mit der Bestätigung der bezirklichen Planungshoheit öffnen sich für Bezirke Handlungsspielräume, Stadtentwicklung örtlichen Bedürfnissen gerecht und zukunftsorientiert zu gestalten.

Die „Urbane Mitte“ geht auf eine Veräußerung von Grundstücken im Besitz der Deutschen Bahn im Jahr 1994 zurück. Das Gleisdreieck war zu diesem Zeitpunkt eine Brachfläche. Der Rahmenvertrag für die Bebauung, der den strittigen Entschädigungsmechanismus beinhaltet, wurde 2005 unterschrieben. Das Grundstück gelang über mehrere Verkäufe in die Hände von privaten Investoren, die 2015 den Plan für die „Urbane Mitte“ vorlegten. Der Gleisdreieckpark wurde 2011-2014 sukzessive eröffnet, und wurde zur beliebten, vielgenutzten Grünfläche für Anwohner*innen.