Beitrag von Daniel Wesener, Sprecher für Kulturfinanzierung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin

Seit über hundert Jahren wird in Berlin über einen neuen Standort für die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) diskutiert. Die größte öffentliche Bibliothek Deutschlands ist immer noch auf zwei Standorte verteilt. Beide sind baulich marode und haben als meistbesuchte Kultur- und Bildungseinrichtungen in der Stadt schon längst ihre Kapazitätsgrenze überschritten. Nach langen Debatten, unzähligen Bedarfsprogrammen, Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Standortuntersuchungen hat sich in letzten Legislaturperiode der Blücherplatz und die Erweiterung der Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) als klarer Favorit herauskristallisiert. Die Umsetzung wäre bildungs- und kulturpolitisch ein immenser Gewinn, für ganz Berlin, aber natürlich auch für den Stadtteil Kreuzberg. Noch in diesem Jahr, so die Planungen vom ehemaligen rot-grün-roten Senat, sollte ein Wettbewerbsverfahren starten.

Diesen Sommer platze eine ganz neue Idee in die alte Debatte: Der neue Kultursenator verkündete, dass der Eigentümer vom Friedrichstraßen-Quartier 207, in dem sich heute die Galeries Lafayette befindet, diese Immobilie der Stadt zum Kauf angeboten habe – für eine Nachnutzung schon ab Ende 2026 als neue ZLB. Eine „Jahrhundertidee“, wie viele sofort fanden. Wirklich?  Wie kann aus der Idee auch Wirklichkeit werden? Und was folgt daraus für die Amerika-Gedenkbibliothek und den Blücherplatz?

 

Was spricht für den Standort Friedrichstraße?

Für die Idee spricht definitiv, dass das ursprüngliche Ziel einer neuen ZLB im Quartier 207 sowohl schneller als auch günstiger erreicht werden könnte. Erste Untersuchungen und Entwürfe haben festgestellt, dass sich das Gebäude mit seinen 35.000 qm Nutzfläche für eine moderne Bibliotheksnutzung und die Bedarfe der ZLB nahezu perfekt eignet. Die Umnutzung eines Bestandsgebäudes ist zugleich sehr viel klimafreundlicher als ein Neubau. Wie der Blücherplatz ist auch die Friedrichstraße sehr gut an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen. Eine neue kulturelle Nutzung mit bis zu zehntausend Besucher*innen am Tag könnte womöglich auch die Straße selbst wiederbeleben – die nicht erst seit dem angekündigten Auszug der Galeries Lafayette in der Krise ist.

Zusammengenommen sind das aus Sicht von uns Grünen hinreichend gute Gründe, die Idee ernsthaft auf ihre Umsetzbarkeit zu prüfen. Allerdings sind viele entscheidende Fragen noch offen. Dazu gehört insbesondere die nach dem Preis, den der Eigentümer vom Quartier, ein privater US-amerikanischer Immobilienkonzern, verlangt. Das erste Angebot, eine Verkaufssumme von knapp 600 Millionen Euro dürfte ein spekulativer Preis und damit deutlich zu hoch sein, als dass ein Erwerb durch das Land Berlin vertretbar wäre. Zum Vergleich: Für die geplante AGB-Erweiterung wurden zuletzt 490 Millionen Euro taxiert. Hinzu kommt die Frage der Finanzierung selbst: Klar ist nur, dass für einen Ankauf des Gebäudes in der Friedrichstraße bereits im nächsten Landeshaushalt für 2024/25 Geld zur Verfügung gestellt werden müsste. Aber bislang sind sowohl im Senatsentwurf als auch in der neuen Finanzplanung von CDU und SPD ganze null Euro dafür vorgesehen.

 

Schwarz-Rot streitet 

Auch in der Kulturausschuss-Sitzung am 25. September wussten weder der schwarz-rote Senat noch die Koalitionsfraktionen etwas zur Klärung der offenen Fragen beizutragen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Schwarz-Rot in der Friedrichstraßen-Frage ganz offenbar uneins ist. Der neue Kultursenator, Joe Chialo von der CDU, bekommt aus den eigenen Reihen eher pflichtschuldigen Applaus für seine „Jahrhundertidee“. Eine Finanzierungszusage kann oder will die CDU aber bis dato nicht machen. Für die SPD ist sogar die ganze Idee „Quatsch“. Stattdessen bringt die Partei erneut Standorte ins Gespräch, die wie das ICC oder das ehemalige Flughafengebäude Tempelhof längst auf eine ZLB-Nutzung geprüft und als baulich wie wirtschaftlich ungeeignet verworfen wurden. Zwischenzeitlich zogen SPD-Abgeordnete sogar die Notwendigkeit einer neuen ZLB als solche in Frage. Es wäre das erste Mal, dass eine demokratische Fraktion im Abgeordnetenhaus vom Ziel einer zeitgemäßen Bibliotheksversorgung der Berliner Bevölkerung abrückt. Damit wird deutlich, dass die „Jahrhundertidee“ ein viel größeres Risiko als ihr eigenes Scheitern in sich trägt: Sollte sich die Friedrichstraßen-Idee zerschlagen, droht auch die bisherige Planung, der Erweiterungsbau für die AGB am Blücherplatz, endgültig zu Grabe getragen werden. Ein solcher Ausgang muss auf jeden Fall verhindert werden!

 

Die Zukunft des Blücherplatzes

Als Grüne stehen wir weiterhin für eine neue ZLB am Blücherplatz, sollte sich die Idee einer Bibliothek in der Friedrichstraße aus finanziellen Gründen oder aufgrund des Streits in der schwarz-roten Koalition nicht realisieren lassen. Die AGB-Erweiterung muss mindestens der „Plan B“ bleiben – anderenfalls droht jede denkbare Lösung für die ZLB in weite Ferne zu rücken. Dabei könnte der neue Senat auf schon bestehende Planungen aufsetzen: Neben der letzten Standort-Untersuchung, aus welcher der Blücherplatz mit deutlichem Abstand als Sieger hervorgegangen ist, liegen auch die Ergebnisse aus einem Beteiligungsverfahren bereits vor. Der Wettbewerb könnte – wie ursprünglich geplant – noch in diesem Jahr beginnen, der Bau selbst spätestens in 2027.

Sollte sich eine ZLB in der Friedrichstraße doch als umsetzbar erweisen, stellt sich wiederum die Frage nach einer Nachnutzung des Gebäudes am Blücherplatz. Bei einer Veranstaltung am 1. September in der ZLB hat sich dazu die grüne Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann klar positioniert: Für die AGB komme nur eine öffentliche und kulturelle Nutzung in Frage, schon aufgrund der Bedeutung des Ortes für die kulturelle Grundversorgung des ganzen Quartiers. Der anwesende Kultursenator hat dem zugestimmt. Wir Grüne nehmen den schwarz-roten Senat hier beim Wort. Die Zukunft der ZLB und des Blücherplatzes bedingen sich gegenseitig.