Spätestens seit dem 1. Mai ist das Thema Rechtsextremismus in Berlin wieder in aller Munde. Antifaschistische Bündnisse und die Zivilgesellschaft haben den geplanten Naziaufmarsch von nur 600 Rechtsextremen erfolgreich blockiert. Dabei agieren die Nazis auch in Berlin offensiver denn je.

Die friedlichen und erfolgreichen Proteste am 1. Mai in Berlin – aber auch in anderen Städten, beispielsweise in Erfurt oder im Februar in Dresden – sind ein enorm wichtiges Signal für unsere demokratische und pluralistische Gesellschaft. Hier haben die Menschen mit den richtigen Mitteln klargemacht, dass sie Nazis in der Gesellschaft nicht dulden. Innensenator Körting (SPD) hingegen hat mehr als unverständlich agiert, indem er den BerlinerInnen den Protest in Hör- und Sichtweite nicht ermöglichen wollte, obwohl er die Proteste zuvor als „Bürger Körting“ ausdrücklich begrüßt hatte.

Gewalt und Bedrohungen: Neue Offensive von Rechts

Die Provokationen der Nazis haben auch in Berlin in letzter Zeit neue Formen angenommen. Insbesondere in Neukölln und Kreuzberg hat es eine Offensive von Beschmierungen und Steinwürfen durch nächtliche Angriffe auf Kneipen, Verlage und Cafés gegeben. Das Beängstigende daran: Die Rechten scheinen mittlerweile mitten in alternativen und migrantisch geprägten Kiezen aktiv zu sein. Ein weiteres Indiz sind die Drohbriefe des so genannten „Kommando 13. Februar“, in denen den politisch aktiven Adressaten mitgeteilt wird: „Dein Leben interessiert uns brennend!“. Ein Streichholz lag den Schreiben bei. Ihr Ziel jedoch, Angst und Schrecken zu verbreiten und als mächtige Kraft außerhalb der Gesellschaft wahrgenommen zu werden, erreichen die Berliner Rechtsextremisten nicht im Geringsten. Ganz im Gegenteil, sie befördern das Engagement gegen Rechts. Das wohl eindeutigste Zeichen sind die 10.000 Menschen, die am 1. Mai mit friedlichen Mitteln gegen den rechten Aufmarsch in Pankow protestiert haben. Weitere Beispiele für ein erstarkendes zivilgesellschaftliches Engagement gegen Fremdenhass und Antisemitismus sind die neu gestartete Kampagne „Neukölln gegen Nazis“. Vielleicht ist die neue Offensivstrategie der rechten Szene auch für den Berliner Innensenator endlich ein Zeichen, die Polizeistrategie bei Neonaziaufmärschen in Berlin zu überdenken, und statt der Absperrung ganzer Stadtviertel einen Protest in Ruf- und Hörweite zuzulassen.

Nicht heimlich, sondern unheimlich: Der nette Nazi von nebenan

Die beschriebene Offensivstrategie rechter Gruppen darf bei aller Freude über die gelungenen Gegenproteste und den zivilgesellschaftlichen Widerstand aber nicht davon ablenken, dass die Nazis parallel versuchen, still in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen. Neben marschierenden Schreihälsen mit Springerstiefeln und dumpfen Parolen ist der nette Nazi von nebenan eine nicht weniger große Bedrohung. Beispielhaft für diese Problematik müssen neben rechten Angeboten und Aktivitäten für Familien und Kinder zum Beispiel Geschäfte für im rechten Spektrum sehr beliebte Kleidung gelten, wie zum Beispiel der die Marke Thor Steinar vertreibende Laden Tromsö nahe dem Frankfurter Tor in Friedrichshain. Die Eröffnung vor über einem Jahr wurde von lautstarkem und breit angelegtem Protest begleitet, aber der Laden ist immer noch da – mitten im links-alternativ geprägten Friedrichshain. Die rechtliche Handhabe gegen unliebsame Mieter wie diesen gestaltet sich oft schwieriger als gedacht.

Der Kampf gegen Rechts: Eine unendliche Geschichte

Entnervt wird mancher fragen, was denn nun hilft, und worauf mensch sich konzentrieren soll: Zur Gegendemo gegen den nächsten rechtsextremen Aufmarsch gehen, oder lieber Flyer verteilen, um auf den Naziladen aufmerksam zu machen? Die Antwort lautet: Im Zweifelsfall beides. Jedes Engagement gegen rechts ist besser als Resignation. Zentral wird auch in diesem Jahr sein, die bereits feststehenden Protestveranstaltungen gegen rechte Gewalt und fremdenfeindliches und antisemitisches Gedankengut zu unterstützen. Das Bild in der Öffentlichkeit darf keines sein, in dem die Nazis zahlenmäßig dominieren. Beispiele für derartige Veranstaltungen sind unter anderem die Gedenkdemonstration für Silvio Meier im November und die Gegenproteste zur Nazidemo für ein „autonomes Jugendzentrum“ im Dezember. Der Hausbesetzer und Aktivist der links-alternativen Szene Silvio Meier wurde vor achtzehn Jahren, am 21. November 1992 auf dem U-Bahnhof Samariterstraße von Nazis erstochen. Jedes Jahr zu dieser Zeit erinnern linke Gruppen mit einer Gedenkdemonstration an sein Schicksal und die Gefahr rechter Angriffe. Im Dezember marschieren erfahrungsgemäß die Nazis: für ein nationales Jugendzentrum. Gut, wenn sie dabei nur genau so weit kommen, wie im Februar in Dresden und im Mai in Berlin: Keinen Fußbreit. Bis zu diesen beiden Daten wird es darum gehen zu zeigen, dass die Zivilgesellschaft den längeren Atem hat: Die Nazis machen vermutlich keine Sommerferien – wir auch nicht.

Clara Herrmann Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus Mitglied des Abgeordnetenhauses