Eine kritische Zustandsbeschreibung

Die Birke wächst genau im Herz der Weiche. Das ist jenes Teil, welches die Radkränze der Dampflokomotiven in die eine oder die andere Richtung laufen ließ, nach Dresden oder nach Anhalt. Im Fenster des Stellwerks wurzelt eine kleine Rubinie. Früher undenkbar, nähme sie doch dem Wärter die Sicht auf Kreuzungen und Signale. Wie sollte er verhindern, dass sich hunderte Tonnen Stahl des einen Zuges in die hunderte Tonnen Stahl eines anderen bohren? Heute fährt noch der einsame Zug der Museumsbahn über sein einzelnes Gleis. Der braucht keine Weichen oder Signale und keine Wärter mit Aussicht. Die Rubinie hat eine Gnadenfrist.

Durch die Wildwiese schlängelt sich ein schmaler Trampelpfad. Der Besucher wundert sich nicht. Dort liegt Kopfsteinpflaster, was sollte da schon wachsen? Doch die Ladestraße ist 14 Meter breit, genug für die Hälfte einer Autobahn. Das meiste ist zugewachsen mit Pflanzen, die nur in Felsspalten und in Fugen zwischen Pflastersteinen gedeihen. Dort, wo der Weg wirklich zu Ende ist, ändert sich die Vegetation. Im Schotter der Gleise wächst etwas anderes.

Seit Stunden stürmen Kinder den kleinen Hügel. Als Rest der Baustelle am Potsdamer Platz ist er übrig geblieben. Niemand hat sich all die Jahre für ihn interessiert, abgesehen von Bäumen, Büschen und den Kindern eben. Ist ihre Burg erstmal erobert, wird es langweilig und es geht wieder hinunter, zum nächsten Sturm. Den Eltern ist es recht, sie sitzen und schwatzen im Schatten.

In bunten Hawai-Hemden und dem Skateboard unterm Arm kommen die jungen Männer auf das Gelände. Haben sie zu viele Ami-Serien geguckt? Ein Gespräch, einige Erklärungen, sie sind aus Kalifornien, sozusagen die Originale. Begeistert sehen sie unter Büsche und Bäume. So etwas haben sie Daheim nicht. Ihnen folgen noch viele Touristen aus dem In- und Ausland. Gemeinsam haben sie nur eines, sie nehmen die Faszination Gleisdreieck mit nach Hause.

Das alles scheint bei der Planung der Berliner Senatsverwaltung keine Rolle mehr zu spielen. Sie denken in Pflegekosten pro m² und in Sichtachsen. Selbst wenn diese Sicht nur einen Betonklotz zeigt, Achse muss sein. Da können die Bürger sich beteiligen soviel sie wollen. Was wäre so schlimm daran, wenn der Park den Berlinern gefallen würde?

Torsten Schöppler