„Man braucht doch nur an die Mietgesetzgebung in der Bundesrepublik denken – was ist das anderes als Klassenkampf?“ hat der Dramatiker Heiner Müller einmal gefragt. Nun scheinen die beiden Gewerbehöfe in der Muskauer Straße 24, in den er seine letzten Arbeiten verfasste, selbst Opfer dieses Klassenkampfs, der Verdrängung durch Kapital und neoliberales Denken zu werden.
Mal ist es der Gemüsehändler nebenan, dann der Buchladen um die Ecke, das Lieblingscafé, die kleine Bäckerei, der Tierladen, der Trödelhändler, der Kinderladen oder die Kita. Immer mehr alteingesessene kleine Gewerbetreibende, Künstler*innenateliers, kulturelle Produktionsstätten und soziale Einrichtungen müssen weichen, um Gastronomie, Filialen großer Ketten, hochpreisigen Co-Working-Spaces oder hochspekulativen Investments in Start-up-Firmen Platz zu machen. Ganze Kieze drohen unter dem kapitalistischen Verwertungsdruck zu verarme und das an Vielfalt und Diversität einzubüßen, welches sie doch gerade zu den attraktiven und lebenswerten Stadträumen gemacht hat, aus denen nun Gewinn geschlagen werden soll. Nun droht es zwei Gewerbehöfe in der Muskauer Straße 24 zu treffen.
Gewerbehöfe mit Geschichte
Man sieht sie nicht auf den ersten Blick. Erst wenn mensch von der Muskauer Straße aus durch einen nicht weiter auffälligen Torbogen tritt, gelangt er oder sie in zwei Hinterhöfe, wie sie für Kreuzberg und auch Friedrichshain typisch sind. Was mensch auch nicht auf den ersten Blick sieht, dass hier Kunst- und Kulturgeschichte geschrieben wurde und immer noch wird. Der Dramatiker Heiner Müller verfasste hier seine letzten Arbeiten. Hier gingen mehrere Generationen von Berliner Künstler*innen ihrer Arbeit nach. Viele international bekannte Fotograf*innen machen hier ihre fotografischen Abzüge. Die Social Impact gehört europaweit zu den renommiertesten Agenturen zur Entwicklung sozialer Innovationen. Weit mehr als 300 erfolgreiche Sozialunternehmen haben ihre Anfänge in der Muskauer Straße 24 genommen. Eine echte Kreuzberger Mischung aus freien Ateliers und geförderten Ateliers des bbk (berufsverbands bildender künstler*innen), sozialem Unternehmertum und künstlerischen Produktionsstätten, die seit über drei Jahrzehnten besteht.
300 Prozent mehr Miete
Nachdem der langjährige Besitzer des Gebäudes die Verwaltung desselben nun seinen Söhnen Maximilian und Robert Verowski übertragen hat, haben diese eine familieneigene Hausverwaltung gegründet, die Biddex, als deren Geschäftsführer sie selbst fungieren. Und sie wollen nun mitverdienen am Boom, wollen „ortsübliche Mieten“ verlangen, sprechen von „wirtschaftlichen Interessen“ und einem „guten Angebot“, nachdem kurzerhand allen Mietparteien gekündigt wurde, um ihnen im gleichen Zug dieselben Räume für 300 Prozent Aufschlag wieder anzubieten.
Doch die Künstler*innen und Gewerbetreibenden der Muskauer Straße 24 sind nicht in der Lage, eine dreihundertprozentige Mietpreissteigerung wirtschaftlich zu tragen. Rechtliche Möglichkeiten, sich gegen diese existenzgefährdende Mieterhöhung zu wehren, gibt es nicht.
Prominente Unterstützung
Deshalb haben sie sich in einem offenen Brief, der von über 150 Kulturschaffenden und Künstler*innen, – darunter so prominenten wie Daniel Barenboim, Corinna Harfouch, Frank Castorf, Wolfgang Tillmanns und Alexander Kluge -, unterschrieben wurde, an die Vermieter gewandt. Und diese aufgefordert, gemeinsam mit ihnen, den Mieter*innen, nach einer Lösung zu suchen, die es ihnen ermöglicht, zu bleiben und die über Jahrzehnte gewachsene Struktur und Gemeinschaft in den Gewerbehöfen zu erhalten. Doch trotz der prominenten Unterstützung bislang ohne Erfolg. Ein Schicksal, dass viele andere kleine Gewerbetreibende, Künstler*innen, Kulturschaffende und soziale Einrichtungen nicht nur in Friedrichshain-Kreuzberg zunehmend ereilt, oft ohne dass es – wie in diesem Falle – größere Öffentlichkeit gibt.
Hilflose Politik
Weshalb sich der offene Brief auch nicht nur an die Hausbesitzer richtet, sondern explizit auch an die Politik in Bezirk und Land. Und eben nicht nur das eigene Schicksal thematisiert, Unterstützung für den eigenen Kampf ums Bleiben fordert, sondern solidarisch auch für all die anderen jetzt und zukünftig potentiell Betroffenen. Die Bürgermeisterin hat sich stellvertretend für das Bezirksamt nun ebenfalls an den Vermieter gewandt. Die Bezirksverordnetenversammlung hat eine Resolution verabschiedet, in der der Vermieter aufgefordert wird, seiner sich aus seinem Besitz gemäß Artikel 14, Absatz 2 des Grundgesetzes ergebenden Verantwortung „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ gerecht zu werden. Doch über solche Appelle hinaus ist der Bezirk machtlos. Rechtliche Möglichkeiten hat er nicht. Für den Erhalt bestehender vielfältiger Gewerbestrukturen fehlt es an stadtentwicklungspolitischen Instrumenten. Wir brauchen die rechtliche Möglichkeit, Milieuschutz auch für Gewerbe ausweisen und anwenden zu können. Denn zum Schutz bzw. Erhalt der sozialen Zusammensetzung und Vielfalt gehört eine funktionierende soziale Infrastruktur und Grundversorgung. Und diese kann nicht dem Markt überlassen werden. Denn Leben bedeutet eben nicht nur Wohnen.
Werner Heck, Bezirksverordneter für den Stachel August 2018