Lyrakel

Wir steigen ein paar Stufen hinab in die Theaterkapelle. Der ganze Totensonntag war schon irgendwie zeitlos still. Jetzt kommen wir in noch tieferer Stille an. Außer den tropfenden Tüchern und einem sich ab und an bewegenden Menschen neben einem Erdhügel sind die nächsten 30 Minuten lautlos. Ramona Jakob verteilt die Schreibutensilien und dann ist es wieder ganz still, die Besucher schreiben ihre Gedanken zum Thema Tod „Poesie des Übergangs“ (Performance Kurt Knapper, Aquarelle Hajo Seng, Freie Geige Wicki Bernhardt).Und irgendwann nach kurzer unendlicher Zeit wird der erste Text gelesen.

Nicht immer sind die Lyrakel-Abende so meditativ. Meist geht es eher lebhaft zu. Der Ablauf ist jedoch ähnlich: Nach einer Kurzlesung zu einem bestimmten Thema, wie „Bewegte Worte“, eine Tanzinterpretation, wird ca. 30 Minuten geschrieben und danach vorgelesen, diskutiert, gelacht. Zwischendurch ertönt Musik von Wicki Bernhardt’s Geige. Zuhören, schreiben, lesen, interaktive Bühnengestaltung. Es sind Texte, die aus der Situation entstehen, unfertige Texte, die sonst wahrscheinlich nie so entstanden wären.

Angefangen mit dieser kreativen Schreibarbeit hat Ramona Jakob 1990 im Frauentreff FRIEDA mit der Gruppe „Weibergeflüster“. Auch damals wagte sich die Gruppe von ca. 7 Frauen, die sie in 10-jähriger Zusammenarbeit mit Katrin Girginsohn begleitete, mit bühnenreifen Auftritten als „Weibergespinste“ in die Friedrichshainer Kulturszene. Aber auch Veröffentlichungen, wie „66 Schreibnächte“ (Girgensohn/Jakob) entstanden aus dieser Arbeit heraus. Seit Frühjahr 2007 findet die Lese- und Schreibbühne Lyrakel jeden 4. Sonntag um 20 Uhr im Basement der Theaterkapelle in der Boxhagener Str. 99 statt, Eintritt 5 €, erm. 3 €.

Ihren Beruf als Lehrerin hat Ramona Jakob, 46 Jahre, nur kurze Zeit im DDR-Schulbetrieb ausgeübt. Nach der Wende kehrte sie auch der Bibliotheksarbeit den Rücken, gründete mit anderen Frauen den Mädchentreff Phantalisa und die Sozialarbeit wurde ihr neuer Broterwerb. Dort ist der Name Programm: Das Beflügeln der Phantasie ist ihre Leidenschaft. Für Ramona Jakob bedeutete Schreiben schon immer Selbstverständigung und auch ein Ingangsetzen unbewusster Prozesse. Als freie Autorin und Anleiterin für kreatives und biografisches Schreiben hat sie sich inzwischen selbständig gemacht. Auch das Lehramt hat sie wieder inne. An der Viadrina in Frankfurt/Oder hat sie im neu eingerichteten Schreibzentrum, das unter der Leitung der inzwischen promovierten Germanistin Katrin Girgensohn steht, einen Lehrauftrag.

Elke Böttcher