Ein Kommentar

Die kritische Auseinandersetzung mit dem Wirtschaftssystem war immer ein Ausgangspunkt für grünes Denken. Wieso vergessen wir das beimPopulismus? Populismus zu kritisieren, ohne dabei auch an den Kapitalismus gedacht zu haben, ist wie nur einen Reifen am Fahrrad aufzupumpen.

Vermischung von Diagnose und Beschreibung

“Eine Aussage ist dann populistisch, wenn sie der herrschenden Meinung widerspricht und dafür Mittel verwendet, die den herrschenden Umgangsformen widersprechen.” So banal diese Aussage klingt, so wahr scheint sie für viele zu sein. Wir stecken mittendrin, im Deutungskampf, was als Populismus gelten oder populistisch sein könnte. Dabei scheint Populismus heute mehr Diagnose als Beschreibung zu sein, mit einhergehend wird oft auch eine Aussage über die moralische Qualität eines Menschen getroffen. Populismus wird von uns als eine Art und Weise ein Problem zu benennen verstanden, als Stilmittel eine bestimmte Aussage zu treffen. Komplexer Sachverhalt, einfache Lösung? Populismus. Politisch inkorrekt gegen Eliten poltern? Populismus.

Ursachen nicht übersehen

Was mir Sorge bereitet ist, dass wir die Ursachen übersehen. Wir sollten uns die Probleme vor Augen halten, die dazu führen, dass populistische Parteien Erfolg haben. Die liegen ganz klar in den Ungleichheiten, die unsere Gesellschaft produziert. Schauen wir in die statistischen Auswertungen der letzten Wahlen, sehen wir deutlich, dass populistische Parteien von Menschen gewählt werden, die (berechtigt oder unberechtigt) Angst haben in soziale Notlagen abzurutschen. Das ist keine rationale Wahlentscheidung, das ist Furcht vor sozialem Abstieg, die sich in einem Protest gegen das als Feindbild ausgemachte politische Establishment entlädt. Nein, keine Diskriminierung wird durch die Meinungsfreiheit geschützt . Wir müssen uns jeglichen solchen Tendenzen immer in den Weg stellen. Und hier müssen wir auch deutlich machen, dass populistische Parteien heute in extremer Weise Diskriminierungen in ihre Programmatik einbauen. Aber wir sollten uns bewusst machen, warum Populismus gerade erfolgreich ist und nicht eine rein moralische Kritik des politischen Stils betreiben. Unsere kapitalistische Wirtschaftsordnung hat es geschafft, Menschen in diese Situation zu bringen, diese Notlagen aufzubauen. Das gilt es zu korrigieren. Gerade wir Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg sollten uns diesem Trend entgegenstellen, denn wir sind an gesellschaftlichen Lösungen und nicht am Urteilen über Menschen interessiert.

 

Michael Sebastian Schneiß für den Stachel Mai 2019