Wie Krankenhäuser niedergelassene Ärzte bestechen – um zusätzliche Patienten zu bekommen. Ein Artikel aus der Berliner Zeitung von THORKIT TREICHEL, DANIEL BAUMANN, TIMOT SZENT-IVANY
BERLIN. Die Affäre um Ärzte-Bestechung zieht immer größere Kreise. Gestern kamen weitere Details ans Tageslicht, die ein ausgeklügeltes Betrugssystem zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten erkennbar werden lassen. Die Spitzen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) wollen deshalb heute bei einem Treffen in Berlin ein gemeinsames Vorgehen beraten, um der Korruption Einhalt zu gebieten. Der KBV-Vorsitzende Andreas Köhler räumte ein, dass Krankenhäuser Prämien an niedergelassene Ärzte bezahlen, damit diese Patienten überweisen. Es handele sich dabei um strafbare Einzelfälle. „Das ist Zuweisung gegen Entgelt, und das ist berufsrechtlich zu ahnden.“
Vorwürfe an Schmidt
Wie sich gestern herauskristallisierte, schließen die Krankenhäuser oft Dienstleistungsverträge mit niedergelassenen Ärzten ab, über die sie den Medizinern dann Geldprämien zukommen lassen. „Viele Verträge zur integrierten Versorgung sehen verdeckte Kopfprämien vor“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin, Burkhard Bratzke, der Berliner Zeitung. „Das Honorar, das die Ärzte für die Betreuung der Patienten erhalten, ist dann häufig ein Mehrfaches von dem, was sie normalerweise dafür bekommen.“ Als Beispiel nannte er einen Vertrag, der für zwei Nachuntersuchungen rund 200 Euro vorsieht. „Diesen Betrag erhalten Ärzte ansonsten für die gesamte ambulante Behandlung eines Patienten über ein ganzes Jahr.“ Dieser Zeitung sind Fälle bekannt, wonach Kliniken pro Hüftoperation rund 1 000 Euro zahlten.
In Westfalen-Lippe sollen gleich sechs Chefärzte niedergelassene Mediziner bestochen haben. Dies sei inzwischen aber abgestellt, teilte die dortige Ärztekammer mit. Problem: In Nordrhein-Westfalen stehen 4 000 bis 5 000 Krankenhausbetten leer, die gefüllt werden müssen, damit die Krankenhäuser rentabel sind. Eine Herausforderung, vor der Krankenhäuser bundesweit stehen. Der Berliner Ärztekammerpräsident Günther Jonitz weist die Schuld dafür Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) zu. Diese habe den Wettbewerb forciert. „Nun zeigen sich die Schattenseiten“, sagte er. „Als die Krankenhäuser noch einigermaßen ausfinanziert waren, gab es solche Mauscheleien nicht.“ Er habe Hinweise, dass auch Augenärzte, Orthopäden und Urologen fragwürdige Vereinbarungen mit Kliniken getroffen hätten.
Gar nicht überrascht ist dagegen Peter Borges. Er ist Chef der wichtigsten Unternehmensberatung im Krankenhausbereich, Gebera, und kennt viele Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte. Die Initiative zum Abschluss von Dienstleistungsverträgen – und damit über exklusive Patientenzuweisung und Prämienzahlungen – gehe hauptsächlich von größeren Arztpraxen aus, die in den Bereichen Orthopädie, Onkologie, Urologie und Frauenheilkunde tätig seien. Diese würden von den Kliniken Laborleistungen, Radiologie und Diagnosestellung übernehmen und seien nach einer Operation für die Nachsorge zuständig. „Dafür wollen Sie einen Gewinn sehen“, sagte Borges. Was er einen Gewinn nennt, ist für andere die kriminelle Kopfprämie. Krankenkassenvertreter sprechen unter der Hand von „mafiösen Strukturen“. Es wasche eine Hand die andere.
Borges aber hält es für bedenklich, dass der Vorgang kriminalisiert wird. Natürlich erzielten Ärzte und Kliniken einen Vorteil, sie seien sich oftmals aber gar nicht bewusst, dass sie mit diesem Vorgehen schnell die Grenze zur Illegalität überschritten, denn die Kooperationen seien vom Gesetzgeber ja gewollt. „Die Rechtslage ist eine sehr, sehr komplexe Kiste“, sagte Borges. Er habe es einige Male erlebt, dass erst Juristen das Problem erkannten.
Ohne Nachsicht zeigt sich dagegen der Bund Deutscher Kriminalbeamter. „Es handelt sich eindeutig um Korruption“, sagte Korruptionsexperte Uwe Dolata. „Und die Krankenkassen wissen seit Langem davon.“ Auf Nachfrage heißt es jedoch beim Spitzenverband der Krankenkassen und bei den großen Krankenkassen, dass man Korruptionsfälle nur vom Hörensagen kenne und dass keine konkreten Fälle bekannt seien.
Dolata kritisiert, dass der Staatsanwaltschaft die Hände gebunden seien. Es fehlten die gesetzlichen Grundlagen, um gegen die Korruption vorzugehen. Problem ist Paragraf 299 des Strafgesetzbuches. Darin heißt es, dass nur „Angestellte oder Beauftragte eines geschäftlichen Betriebes“ wegen Bestechlichkeit bestraft werden können. Für niedergelassene Ärzte als Selbstständige gelte das Gesetz nicht. Dolata fordert deshalb dringend eine Änderung des Paragrafen. Das Bundesjustizministerium widerspricht dem. Es sieht in den niedergelassenen Ärzten Beauftragte der Krankenkassen, da diese in einem Vertragsverhältnis stünden, damit gelte auch für sie Paragraf 299. Tatsächlich ist die Rechtsprechung der Gerichte bisher widersprüchlich.
Kliniken überprüfen
Die Ärztekammern jedoch haben die Möglichkeit, aufgrund der Berufsordnung das Vergehen zu ahnden. Denn klar ist, dass für die Patienten durch die Praxis nicht mehr erkennbar ist, ob sie aus medizinischen oder aus finanziellen Gründen in eine Klinik eingewiesen werden. Die Berliner Grünen fordern deshalb Konsequenzen. Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke) müsse die Praktiken in den Kliniken überprüfen, fordert die gesundheitspolitische Sprecherin Heidi Kosche. Lompscher wies darauf hin, dass Berlin gegen die Gesundheitsreform gestimmt habe, da eine Ökonomisierung der Krankenhauslandschaft nicht im Sinne der Patienten sei. (mit tms.)