Die Einführung einer Devisentransaktionssteuer ist somit ein machbares und zugleich machtvolles Zeichen für eine Politik, die auf internationale, soziale und ökologische Standards statt auf ungehemmte Marktradikalität setzt. Dies haben Frankreich und Belgien erkannt und jeweils nationale Gesetze erlassen, die eine Einführung einer solchen Steuer auf europäischer Ebene vorsehen. Auch Bundeskanzler Schröder hat sich auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos für eine Devisentransaktionsteuer ausgesprochen.
Im folgenden Text legen wir ausführlich dar, wie ein sinnvolles Modell der Devisentransaktionssteuer und seine Umsetzung aussehen könnte. Wir wollen damit Rot-Grün und Kanzler Schröder ausdrücklich ermuntern, in diesem Jahr, das mit der Reform der Vereinten Nationen und der Zwischenbilanz der Millenniumsziele zum Schicksalsjahr der internationalen Gemeinschaft werden könnte, Worten endlich Taten folgen zu lassen.
Das Wesen der Devisenspekulation
Mexiko 1994, Asien 1997, Russland 1998, Argentinien 2000: Die Finanzcrashs, die über diese Länder und Regionen hereingebrochen sind, stellen nur die schwerwiegendsten Fälle von finanziellen und ökonomischen Zusammenbrüchen ganzer Volkwirtschaften im letzten Jahrzehnt dar. Über Ursachen solch schwerer Krisen und über ihre Auslöser forscht und streitet die Wirtschaftswissenschaft seit langem. Klar ist, dass massive Devisenspekulationen an den internationalen Kapitalmärkten diese Krisen verschärft haben. Die Folgen waren desaströs, besonders für den armen Teil der jeweiligen Bevölkerung.
Wie kommt es zu Devisenspekulation? Der Wert einer Währung wird am Devisenmarkt durch das Aufeinandertreffen von Angebot und Nachfrage bestimmt. Dieser war bis 1973 noch durch die internationale Gemeinschaft reguliert. Das sogenannte Bretton-Woods-System verpflichtete die einzelnen Notenbanken durch Zukäufe und Verkäufe von Devisen (Interventionen) den Wert der eigenen Währung, im Verhältnis zur Leitwährung US-Dollar, innerhalb einer definierten Bandbreite stabil zu halten. Man nennt dies auch ein Festkurssystem (feste Wechselkurse/system). Dieses System musste aufgrund der Leitwährungsschwäche 1973 zu Gunsten flexibler Wechselkurse aufgegeben werden. Seitdem sind die Zentralbanken nicht mehr zur Kursstabilisierung verpflichtet. Die Folgen sind zu stark schwankende Wechselkurse und eine immer problematisch werdende Tendenz zur Spekulation. (Natürlich gab es auch damals bereits verdeckt agierende Spekulanten gegen bestimmte Währungen. Dies näher auszuführen würde den Rahmen dieses Textes sprengen. Ausmaß und Bedeutung von Devisenspekulation war mit heute verglichen jedoch verschwindend gering.)
Das Volumen der Devisentransaktionen übersteigt mittlerweile den internationalen Handel und internationale Direktinvestitionen um ein Vielfaches. Bereits 1998 lag das tägliche Transaktionsvolumen auf den Devisenmärkten bei über 1400 Mrd. Dollar. Es überstieg die Summe, die für die Finanzierung der Transaktionen von Gütern und Dienstleistungen erforderlich war um das Hundertfache. Viele dieser kurzfristigen Transaktionen haben keinen anderen Zweck als die Erzielung eines schnellen Gewinns durch Finanzspekulation. Die internationalen Finanzmärkte nehmen seit Zusammenbruch des Festwechselkurssystems zunehmend die Funktionsweise eines globalen Spielcasinos ein. (Es gilt zu unterscheiden zwischen „schädlicher“ und „vernünftiger“ Spekulation. „Schädliche Spekulation“ versucht gezielt durch massive Transaktionsbewegungen Kursveränderungen zu erreichen. Sie hat eine stark destabilisierende Wirkung. Es gibt aber auch „Vernünftige Spekulation“, die bspw. der Absicherung von Rohstoffhandel in Fremdwährung dient, indem durch so genannte Optionskäufe heute das Recht erworben wird, in einem Jahr zu einem festgesetzten Wechselkurs zu tauschen. Diese „Vernünftige Spekulation“ hat erst durch die „Schädliche Spekulation“ und die damit hervorgerufenen Wechselkursschwankungen stark an Bedeutung gewonnen.)
Ein vereinfachtes Beispiel soll den Ablauf von Währungsspekulationen erläutern: Um 12 Uhr werden 10 Mio. Euro zu einem Kurs von 1€=1,30$ in Dollar umgetauscht; die 10 Mio. Euro entsprechen also 13 Mio. Dollar. Bis 15 Uhr hat der Euro leicht nachgelassen und kostet nur noch 1,29$. Tauscht der Akteur nun die erworbenen 13 Mio. Dollar zurück, erhält er ca. 10,08 Mio. Euro – ein Gewinn von 80 000 €, erzielt mit zwei Mausklicks. Dass deutlich größere Einnahmen bei höherem Einsatz oder stärkerer Währungsabwertung auftreten können, erklärt sich von selbst. Liegen Hinweise auf eine bevorstehende Abwertung der Währung vor, so wird ein Großteil der Akteure ebenfalls auf Abwertung setzen. Sie würden die Währung verkaufen – woraufhin der Wert der Währung weiter sinkt. Daraufhin entsteht Panik und es verkaufen noch mehr Akteure. Das Herdenverhalten der internationalen Anleger lässt die Währung zusammenbrechen. So kann es in kürzester Zeit zu einer massiven Abwertung und massiver Kapitalflucht kommen, mit extrem negativen Auswirkungen auf die reale Wirtschaft. Es ist offensichtlich, dass hinter dieser Art von Devisentransaktion keine reale Wirtschaftstätigkeit steht. Die Entwicklung der realen Ökonomie wird aber durch die Wechselkursänderungen stark beeinträchtigt. Die realen Verbindlichkeiten der Banken gegenüber dem Ausland steigen durch die Abwertung der eigenen Währung an. Die Banken versuchen die drohende Insolvenz zu vermeiden, indem sie die Unternehmenskredite kündigen. Die inländischen Unternehmen sind nicht in der Lage kurzfristig die Kredite zurück zu bezahlen und müssen – obgleich völlig rentabel – Insolvenz anmelden. Die Zinssätze erhöhen sich, was zu einer weiteren Schädigung der Inlandswirtschaft führt. Durch die Verteuerung der Importe, die der inländischen Wirtschaft als Vorprodukte dienen, steigt die Inflationsrate rapide an und die Teile der Wirtschaft, die die Preissteigerungen nicht weitergeben können, werden unrentabel. Massenentlassungen und Armut sind die unmittelbaren Folgen – eine unaufhaltbare Abwärtsspirale entsteht. Die betriebswirtschaftlichen Bedingungen in dem betroffenen Land werden deutlich unsicherer, Investitionen risikoreicher und die Regierungen abhängiger von den Privatanlegern auf den internationalen Finanzmärkten.
Die Tobin-Steuer: Sand ins Getriebe der Finanzmärkte
1972 veröffentlichte der spätere Wirtschaftsnobelpreisträger James Tobin seinen Vorschlag einer internationalen Steuer auf Devisentransaktionen. Er entwickelte damit ein ursprünglich bereits vom berühmten Wirtschaftswissenschaftler John M. Keynes vorgeschlagenes Konzept weiter, doch erlangte die Idee einer Devisentransaktionsbesteuerung erst nach Tobins Veröffentlichung und unter dem Namen „Tobin-Steuer“ weitreichende Aufmerksamkeit. Tobin schlug vor, sämtliche Devisentransaktionen international zu besteuern und zwar mit einem Satz von etwa 1%. Um Ausweichmöglichkeiten soweit wie möglich zu vermeiden, sollten alle großen Finanzzentren der Erde unter Aufsicht und Verwaltung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in die Erhebung der Abgabe einbezogen werden. Die Abgabe hätte zur Folge, dass viele Spekulationen unrentabel würden. Auf diese Weise wollte Tobin erreichen, dass sich Wechselkurse hauptsächlich an realen wirtschaftlichen Daten orientieren und nicht durch spekulative Blasen beeinflusst werden. Instabilität verursachende Wechselkursschwankungen durch kurzfristige Devisenumsätze sollten also vermieden werden, ohne jedoch den regulären internationalen Handel gravierend zu treffen. Gleichzeitig bewirkt eine Steuer immer eine Erzielung von Einnahmen, die von Tobin aber ausdrücklich als nachrangig eingestuft wurde. Der Schwerpunkt seines Vorschlags lag auf der Lenkungsfunktion der Steuer; schon deshalb, weil die Steuer umso erfolgreicher ist, je weniger Einnahmen sie erzielt – denn je langfristiger Kapitalanlagen ausfallen, desto weniger häufig muss die Tobin-Steuer entrichtet werden. Erst im weiteren Diskurs erhielt angesichts weltweit rückläufiger Entwicklungshilfe die Komponente eines sinnvoll einzusetzenden Ertrags aus der Steuer größere Beachtung. Tobin war kein Verfechter einer grundsätzlich neuen Weltwirtschaftsordnung, sondern wollte mit seinem Vorschlag lediglich den globalen Kapitalmarkt „entschleunigen“, um die schädlichen Auswirkungen von Spekulationen zu bekämpfen. Es geht bei der „Tobin-Steuer“ nicht darum, die Räder still stehen zu lassen, sondern – nach Tobins Worten – ein wenig „Sand ins Getriebe“ der internationalen Finanzmärkte zu streuen.
Eine Weiterentwicklung von Tobins Idee: Die Spahn-Steuer
Die internationalen Finanzmärkte haben sich seit Tobins Vorstoß massiv gewandelt. Das tägliche Transaktionsvolumen ist nahezu exponentiell gestiegen und beträgt heute schätzungsweise gigantische 1,2 Billionen Dollar. Die durchschnittliche Anlagedauer bei Aktien beträgt nunmehr sieben Monate. Der jährliche Anteil von Transaktionen spekulativer Natur (d.h. mit einer Laufzeit von weniger als 8 Tagen) an allen Devisenumsätzen, stieg rasant auf etwa 80 %. Ungeahnte Crashs auf der einen, Riesengewinne auf der anderen Seite waren die Folge. Gleichzeitig hat jedoch der reguläre internationale Handel auch eine wohlfahrtsfördernde Bedeutung. Hier offenbart sich eine Schwäche in Tobins Konzept: Die Steuer kann nicht zwischen regulären und spekulativen Transaktionen unterscheiden und befindet sich daher in einem „Zielkonflikt“ (Spahn) um die Steuerhöhe. Setzt man diese niedrig an, um den regelmäßigen Kapitalfluss möglichst wenig zu behindern, wird dadurch der Einfluss auf Spekulationen geringer, da die Gewinnmargen der Spekulationsgeschäfte steigen würden. Je höher die Spekulationserträge den zu zahlenden Betrag der Tobin-Steuer übersteigen würden, desto größer der Spekulationsanreiz. Will man dem eigentlichen Ziel Tobins entsprechen und Spekulationen wirksam verhindern, müsste die Steuer verhältnismäßig hoch angesetzt werden. Dies würde jedoch den regulären Handel behindern und der Weltwirtschaft u.U. massiven Schaden zufügen. Zwar wird die „Tobin-Steuer“ über einen bestimmten Zeitraum häufiger fällig, wenn in dieser Spanne mehr Transaktionen gefertigt werden, womit langfristige Anlagen bereits begünstigt sind. Doch bei Gewinn- (und Verlust-)spannen von bis zu 60 % wäre eine einprozentige Steuer noch immer unwirksam – bei gleichzeitig zu hoher Liquiditätsverringerung des Weltmarktes und Verteuerung von Auslandsdirektinvestitionen.
Dieses Dilemma versucht die Variante der Tobin-Steuer, die sogenannte“Spahn-Steuer“, zu beseitigen. Im Auftrag des „Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (BMZ) publizierte der Frankfurter Wirtschaftsprofessor Paul Bernd Spahn ein abgeändertes Tobin-Steuer-Konzept. Seine Variante zeichnet sich dadurch aus, dass sie zwei voneinander getrennte Teile einer solchen Steuer vorsieht, die sich aber beide auf die gleiche Steuerbasis beziehen. Der erste Teil besteht aus einer klassischen Tobin-Steuer, allerdings mit sehr niedrigem Steuersatz, z.B. 0,02%. Dieser Teil dient vor allem der Generierung von Einnahmen. Er kann dennoch zur Wechselkursstabilisierung beitragen, indem er Spekulationen mit sehr kurzfristigen, minimalen Wechselkursschwankungen unrentabel werden lässt. Der zweite Teil stellt eine weitere Abgabe dar, die ausschließlich der Abwehr von Spekulation dient. Diese Steuer (einleuchtend auch „Krisensteuer“ genannt) wird erst aktiviert, sobald es an den Devisenmärkten zu Spekulation kommt. Dazu wird ein „Zielkorridor“ um den Wechselkurs festgelegt, der sich an der zu erwartenden Entwicklung orientiert. Verlässt der Kurs den Korridor, tritt die „Krisensteuer“ in Kraft und schreckt damit potenzielle Spekulationen ab. Je weiter der reale Wechselkurs vom Zielkorridor abweicht, desto höher wird der Steuersatz – denn auch der volkwirtschaftliche Schaden wird durch mehr Spekulationen vergrößert. Theoretisch kann dieser Steuersatz auf bis zu 100 % ansteigen. Allerdings wird nur der Teil des Transaktionswertes besteuert, der außerhalb des Korridors liegt – somit stellt dies kein „Verbot“ von Transaktionen dar. Mit festen Wechselkursen oder Marktinkonformität hat dieser Vorschlag also nichts zu tun. Es wird lediglich das spekulative Ausbrechen des Kurses verhindert. Der zweite Teil der Steuer erfüllt damit keine Funktion zur Einnahmeerzielung, sondern wird im Gegenteil idealerweise gar keine Einnahmen zur Folge haben. Das zweistufige Konzept von Prof. Spahn greift die Kritik an einer Tobin-Steuer auf und löst die Probleme von Tobins Modell. Spahns Konzept macht es möglich, spekulativen Handel zu erkennen und zu bekämpfen.
Obwohl unser Modell einer Devisentransaktionssteuer auf Spahns Weiterentwicklung aufbaut – wenn er ihr auch nicht ganz entspricht – verwenden wir im Folgenden der Einfachheit halber den Begriff „Tobin-Steuer“.
Steuereinnahmen sinnvoll verwenden
Spahns Modell bezieht – wie die originale Tobin-Steuer – seine Legitimität hauptsächlich über die stabilisierende Lenkungswirkung. Nichtsdestotrotz sind durch den Grundsteuersatz, der nur wenige Akteure ganz davon abhalten dürfte zu handeln, durchaus beträchtliche Einnahmen zu erwarten. Von der Steuer befreit wären internationale Organisationen, Zentralbanken und Regierungen.
Wie hoch die Einnahmen durch die Tobin-Steuer sein könnten ist derzeitig nur schwer einzuschätzen, da die Reaktionen auf den Weltmärkten kaum vorauszusehen sind. Eine europaweite Einführung der Tobinsteuer würde mehr als 20 Milliarden Euro Steueraufkommen erbringen. (Bei Berechnungen von Prof. Spahn ist nur der Teil der Transaktionen berücksichtigt worden, der in Euro stattfindet.) Wir unterstützen den Vorschlag, dass langfristig die Vereinten Nationen die Einnahmen der Tobin-Steuer bekommen und über diese verfügen.
Da vorerst davon auszugehen ist, dass die Tobin-Steuer nur europaweit umgesetzt würde, setzen wir uns dafür ein, die Einnahmen einem Fonds zur Finanzierung von Entwicklungshilfeprojekten zukommen zu lassen, über den das Europäische Parlament entscheidet. Das Geld sollte für die Verwirklichung der Millenniums-Ziele verwandt werden. Damit würde die Weltgemeinschaft ihrem Ziel, der Halbierung der weltweiten Armut, einen wichtigen Schritt näher kommen.
Die Auswirkungen der Tobin-Steuer auf Finanzmärkte und Realwirtschaft
Die Verteuerung von Devisentransaktionen hätte direkte Auswirkungen auf die Spekulation auf den internationalen Finanzmärkten. Der Finanzsektor würde einerseits von einem Rückgang der Devisentransaktionsgeschäfte betroffen sein. Andererseits würde ein stabileres internationales Investitionsklima entstehen. Die Anreize für längerfristige Portfolio- und Direktinvestitionen würden gestärkt. Finanzdienstleistende, die in diesen Gebieten über die nötige Erfahrung und Kompetenz verfügen, werden daher von der Einführung einer Devisentransaktionssteuer, die das Wechselkursrisiko signifikant senkt, profitieren. Im Gegensatz zu Währungsspekulationsgeschäften, die heute per Knopfdruck ausgeführt werden, erfordern diese Geschäfte eine genaue Analyse von Ertragsaussichten und Risiken. Sie sind damit beschäftigungsintensiver und steigern durch die Auswahl von sinnvollen Investitionsprojekten das Wachstum der gesamten Wirtschaft.
Ökonomen sind sich einig, dass der globale Handel und reale Investitionen in Entwicklungsländer durch stabilere Finanzmärkte profitieren würde. Dies zeigen auch die sehr viel höheren Wachstumsraten des internationalen Handels bis zum Zusammenbruch des Systems fester Wechselkurse von Bretton Woods. Zwar bestehen für Exporteure heutzutage ausreichend Möglichkeiten sich gegen Währungsrisiken abzusichern, allerdings ist diese Absicherung entweder unvollständig oder sehr teuer.
Insbesondere kleine und mittelgroße Unternehmen sind die Hauptleidtragenden von extrem volatilen Wechselkursen. Da sich die Kosten von Wechselkurssicherungsgeschäften mit der Größe des Handelsvolumens verringern, sind größere Unternehmen im Vorteil. Sie können leichter und risikoloser Direktinvestitionen tätigen.
Eine deutliche Abnahme der Volatilität von Währungen wäre für die Entwicklungsländer von großem Vorteil. Zum einen würde deren Verschuldung kontrollierbar bleiben. Zum anderen würde der Anreiz für Direktinvestitionen in diesen Ländern steigen. Währungskrisen, die immer wieder schwere Rückschläge für den Entwicklungsprozess in Entwicklungs- und Schwellenländern darstellen, könnten bei einer erfolgreichen Implementierung der Steuer, stark eingedämmt werden. Damit wird klar, dass die Entwicklungsländer die Hauptgewinner der Einführung einer Tobinsteuer sein werden. Die Möglichkeit des Aufbaus einer Industrie und einer Integration in den globalen Handel werden durch die Tobinsteuer entscheidend verbessert. (In der Vergangenheit haben sich viele Entwicklungsländer in Auslandswährung verschuldet um überhaupt Zugang zu ausländischem Kapital zu akzeptablen Konditionen zu erhalten. Der Nachteil dieser Strategie war, dass sich der reale Wert der Auslandsschulden im Zuge einer Währungskrise durch die Abwertung erhöhte. Damit reduzierte sich der reale Wert der Auslandsschulden nicht im Masse der Abwertung oder sogar überhaupt nicht, während ein Grossteil des inländischen Kapitalstocks durch die plötzliche Abwertung zerstört wurde. Die reale Schuldenlast stieg an, anstatt, wie durch die neoklassische Wirtschaftstheorie behauptet, abzunehmen. Durch die Stabilisierung der Wechselkurse werden Entwicklungsländer in die Lage versetzt, sich, für sie akzeptablen Bedingungen am Weltkapitalmarkt zu verschulden und damit das Risiko einer erneuten Schuldenkrise zu vermindern.)
Viele Entwicklungsländer und kleinere Industrieländer sind sich des Nutzens eines stabilen Wechselkurses bewusst und haben ihre nationale Zentralbank auf die Erreichung dieses Zieles verpflichtet. Das Problem dabei ist aber, dass zum einen das Volumen der Währungsreserven der Zentralbanken dieser Länder nicht ausreichend ist, um gegen Spekulanten vorzugehen und dass weiterhin die Möglichkeit, die Geldpolitik auf binnenwirtschaftliche Ziele auszurichten, entfällt. Hier kann die zweite Komponente der Tobinsteuer helfen, wieder eine größere Autonomie der nationalen Geldpolitik herzustellen.
Auch für die entwickelten Volkswirtschaften wird die geringere Volatilität der Wechselkurse zu Wohlfahrtsgewinnen führen. Die Bedingungen für den Handel und grenzüberschreitende Direktinvestitionen würden verbessert. Die Auswirkungen würden jedoch weniger spürbar sein als in den Entwicklungsländern, da in den entwickelten Volkswirtschaften die Wechselkurse weniger krisenanfällig sind und bessere sowie kostengünstigere Möglichkeiten der Absicherung gegen Risiken bestehen. Außerdem findet ein Großteil des Handels und der Direktinvestitionen in der entwickelten Welt innerhalb eines Währungsraums wie z.B. dem Euroraum statt.
Umsetzungsmöglichkeiten einer Tobin-Steuer
Die technische Umsetzbarkeit einer Devisenumsatzsteuer wird kaum mehr bezweifelt. Weil Devisentransaktionen fast ausschließlich nur noch elektronisch abgewickelt werden, stellt die Erfassung der Transaktionsvorgänge kein Problem mehr dar. Selbstverständlich würde die weltweite Einführung der Tobinsteuer die besten Ergebnisse bei der Bekämpfung weltweiter Spekulation mit Devisen erzielen. Aufgrund der unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Interessen ist von einer globalen Einführung der Tobin-Steuer leider nicht auszugehen. Deswegen setzen wir auf die Einführung einer Spahn-Steuer vorerst im Europäischen Raum. Dass dies möglich und sinnvoll ist, hat Prof. Spahn in seinem Gutachten für das BMZ ausführlich dargelegt.
Eine europaweite Tobin-(Spahn-)Steuer würde nicht die weltweite Spekulation per Handschlag zunichte machen. Die Einführung einer Tobin-Steuer hätte aber eine positive Signalwirkung auf andere Länder und Währungsräume. Im besten Fall würde die Steuer in weiteren Wirtschaftsräumen eingeführt werden.
Leider ist der europäische Einigungsprozess noch nicht so weit vorangekommen, dass das Europäische Parlament allein über die Einführung einer Spahn-Steuer entscheiden kann. Eine Entscheidung des europäischen Parlaments für die Tobin-Steuer hätte nur eine Signalwirkung. Deswegen muss zunächst national der Weg für die Einführung der Tobin-Steuer gesetzlich frei gemacht werden. Je mehr nationale Parlamente sich für die Tobin-Steuer einsetzen, desto größer werden die Umsetzungschancen. Die Parlamente von Belgien und Frankreich haben sich bereits für die europäische Einführung einer Devisenumsatzsteuer mehrheitlich ausgesprochen.
Stabilisierend und gerecht
Die Tobinsteuer würde einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der internationalen Finanzmärkte liefern und somit realwirtschaftliche Investitionen begünstigen. Dies gilt besonders für Schwellen- und Entwicklungsländer. Gleichzeitig können die erhobenen Steuern zielgerichtet zur Bekämpfung weltweiter Umweltzerstörung und zur Linderung der Armut eingesetzt werden.
Wir fordern alle Parteien – auch die der Opposition – auf, sich umgehend für die Einführung einer Tobinsteuer stark zu machen. Neben dem Ausschöpfen diplomatischer Mittel auf europäischer Ebene gilt es, in Deutschland den Weg für die Devisenspekulationsbesteuerung in der Europäischen Union durch den Beschluss eines nationalen Gesetzes freizumachen. Belgien und Frankreich sind gute Beispiele.
Die Einführung einer Tobinsteuer wäre auch ein erster, wichtiger Schritt in Richtung internationaler Besteuerung. Immer mehr Fragen und Probleme werden in Zukunft nur noch global gelöst werden können. Internationale Steuern können sowohl wichtige Lenkungswirkungen entfalten, als auch die Unabhängigkeit internationaler Organisationen wie der UNO vergrößern. Auch die geplante Kerosinbesteuerung weist in die richtige Richtung.
Die Glaubwürdigkeit der Versprechungen und Ziele der Internationalen Staatengemeinschaft hängt nicht zuletzt daran, ob ausreichende Mittel zur Durchführung der ehrgeizigen Ziele und Programme erschlossen werden können. Der G8 Gipfel in Schottland im Juli 2005 muss nun zeigen, wie die „Millennium Goals“ erreicht und finanziert werden sollen. Die Tobinsteuer würde dazu einen wichtigen Beitrag liefern – stabilisierend und gerecht.
An der Erarbeitung dieses Memorandums haben mitgewirkt:
Stephan Schilling, Felix Tintelnot, Klaus Seipp, Jakob Ache, Sebastian Renner, Clara Herrmann, Manuel Emmler, Jan Seifert, Dominik Bildt, Malte Spitz