Die Initiative RAW.Kulturensemble hat erfolgreich Unterschriften für einen Einwohner*innenantrag „RAW als städtebauliches Erhaltungsgebiet sichern“ gesammelt und diesen Ende März in die BVV eingebracht. Er wird nun zunächst in den Ausschüssen für Kultur und Bildung (am 14.Mai um 18.00 Uhr vor Ort auf dem RAW-Gelände) sowie Stadtentwicklung diskutiert werden.

Es stellt sich nämlich die Frage, ob eine solche Erhaltungssatzung wirklich geeignet wäre, das RAW, so wie wir es kennen, zu erhalten. Denn „erhalten“ hieße in diesem Zusammenhang letztlich nur, dass die städtebauliche Gestalt erhalten bliebe, d.h. nicht höher oder dichter gebaut werden dürfte, als durch die ursprüngliche Bebauung vorgegeben. Doch weder Bauwerke, die nicht unter Denkmalschutz stehen, noch die vorhandenen Brachen geschweige denn die soziokulturellen Nutzungen und ihre Nutzer*innen, die Clubs, die Skaterhalle, Sommergarten und Kletterturm etc. wären dadurch abgesichert oder zu erhalten. Um dieses zu erreichen, muß vielmehr eine Einigung mit den Besitzern des Geländes gefunden werden. Und ob der Erlass einer Erhaltungssatzung hierzu beitragen würde, darf bezweifelt werden. (W.H.) Dennoch möchten wir die Initiative hier zu Wort kommen lassen und dokumentieren die Rede zur Einbringung des Antrags in die BVV vom 27.3.2019 in leicht gekürzter Form:

„(…) Vor 5 Jahren standen wir schon einmal vor Ihnen. Wie schon 2014 steht eine Planung im Raum, die vom Wesen des RAW wenig übrig lassen wird. Damals beschloss die BVV dann “Das gesamte Gelände soll sich als Bereich für Freizeit, Soziales und Kultur aus dem Bestand heraus weiterentwickeln.” Die Planidee war 2014, also vor dem zitierten Beschluss, den Soziokulturellen Bereich zu erhalten und dafür das RAW drumherum stark nachzuverdichten. Und das ist heute wieder der Fall. Es ist nicht mehr vom Gesamtensemble die Rede, das sich aus dem Bestand heraus entwickelt, sondern es ist eine Transformation geplant, die in der Gesamtbetrachtung die städtebauliche Funktion des RAW ignoriert – nämlich das RAW als innerstädtischer Freiraum für Kultur, für Freizeit, Erholung und lokales Gewerbe. Und deshalb stehen wir heute wieder hier und möchten den Blick erneut auf die besonderen Freiraumqualitäten des RAW lenken. Dazu bringen wir einen konkreten Vorschlag in die RAW-Entwicklung ein. Nämlich die städtebauliche Erhaltungsverordnung nach § 172 BauGB. Man könnte sagen, sie ist die kleine Schwester der Milieuschutzsatzung und  schützt “die städtebauliche Eigenart aufgrund der städtebaulichen Gestalt”, im weitesten Sinne also Milieuschutz für Häuser und Freiflächen.

Worin besteht die städtebauliche Eigenart des RAW?

Ursprünglich sollte auf den Flächen des heutigen RAW eine Blockrandbebauung entstehen. Stattdessen wurde dieser Plan verworfen und eine Eisenbahnwerkstatt eingerichtet. Aufgrund aber dieser Abweichung vom Hobrechtplan entstand eine städtebauliche Besonderheit, die jedem ins Auge springt, der sich über die Warschauer Brücke in Richtung Boxhagener Kiez bewegt. Da liegt dann rechtsseitig das RAW – deutlich tiefer als die Wohnbebauung dahinter und auch in der Gebäudestruktur deutlich von der Umgebung zu unterscheiden. Es entstand eine bauhistorische Collage, die 130 Jahre später mit dem Wegfall der Eisenbahn-Nutzung dann der Ausgangspunkt und die Voraussetzung war für die kulturelle Nachnutzung, die dem RAW heute eine neue stadträumliche Funktion verleiht. Diese neue stadträumliche oder auch städtebauliche Funktion ergibt sich nicht nur durch etablierte Nutzungen wie dem Soziokulturellen Zentrum, oder – um nur ein Beispiel zu nennen – dem Urban Spree, das vom Abriss bedroht ist.

Es ist doch so, dass eine Vielzahl an geplanten Nachverdichtungen im Umfeld des RAW-Gelände erst in einigen Jahren sichtbar oder wirksam wird. Und somit steigt die (zukünftige) Bedeutung des RAW als innerstädtischer Freiraum auch im Hinblick auf das schon vorhandene Grünflächen-Defizit in Friedrichshain und gerade im Zuge der Nachverdichtung zwischen Ostkreuz und Warschauer Brücke – hier natürlich mit besonderem Blick auf den “Entertainment District” nebenan. Auch die Frage, wie sich die Umsetzung der Pläne auf die soziokulturelle Praxis im RAW auswirken würde, selbst mit 30 Jahren Mietvertrag, ist eine Überlegung wert.

Das Soziokulturelle Zentrum braucht ja nicht nur eine vertragliche Sicherung, sondern hängt auch von seiner Umgebung ab. Mit  der Umsetzung der vorliegenden Planung werden Nutzungskonflikte auf dem RAW entfacht, innerhalb derer sich die Pioniernutzungen in einen Soziokultur-Zoo verwandeln werden.

Was sind also die Ziele der Erhaltungsverordnung in Bezug auf das RAW

Wir wollen über den (weitestgehenden) Erhalt der vorhandenen Bebauungsstruktur stadträumlich wichtige Nutzungen schützen und Möglichkeitsräume für zukünftige Nutzungsbedarfe sichern. Das schließt behutsame bauliche Ergänzungen ganz und gar nicht aus. Eine fortschrittliche, kleinteilige Planung aber behält die Zukunft der Stadt im Blick und ermöglicht auch in 30 Jahren noch die Anpassung an sich verändernde Nutzungsbedürfnisse. Dabei ist die städtebauliche Erhaltungsverordnung deshalb so interessant, weil sie die langjährige Diskussion um die Bebauung befrieden kann – sie schafft einen verbindlichen Planungsrahmen: Eine Entwicklung wird dadurch nicht verhindert, aber Neubauten müssen sich in das Ensemble einfügen, wovon der Stadtraum RAW, seine aktuellen und zukünftigen Nutzer*innen und die Bewohner*innen Berlins profitieren.

Die Annahme des Einwohner*innen-Antrags bedeutet erstmal nichts anderes, als dass das Bezirksamt aufgefordert wird, eine Erhaltungsverordnung zu erlassen. Wobei ein Beschluss über den Erlass nicht gleichzusetzen ist mit der tatsächlichen Umsetzung. Zuvor müsste eine Prüfung stattfinden, die normalerweise von externen Fachleuten vorgenommen wird. 20 Jahre hat das RAW – nicht zuletzt dank Ihrer Unterstützung – auch die schlimmsten Wild-West-Episoden der Immobilienwirtschaft überstanden. Wenn auch, zugegebenermaßen, nicht mehr im besten Zustand. Deshalb muss sich das RAW entwickeln! Das stellen wir nicht infrage. Unsere Frage ist: Wie? Wie wird das RAW entwickelt? Wie muss es sich entwickeln? Wir bitten Sie in diesem Sinne darum, den Einwohner*innen-Antrag zu unterstützen!

Für die Initiative RAW.Kulturensemble, vorgetragen von Jenny Goldberg