Glogauer06 (c)privat

Wieder einmal sind Künstler*innen und Kreative* in Kreuzberg akut von Verdrängung bedroht. Diesmal trifft es eine Ateliergemeinschaft in der Glogauer Straße 6.

Und dies ist nur eines von mehreren Beispielen in einer Kette von Verdrängung künstlerischer Arbeitsgemeinschaften in unserem Bezirk. Eine Entwicklung, die einige Immobilienbesitzer*innen reicher macht, Friedrichshain-Kreuzberg und uns alle aber ärmer.

Schon seit 2006 existiert die Ateliergemeinschaft in ihren bei der Berliner Immobilienfirma Kuthe Immobilien-Holding GmbH gemieteten Räumen in einem Hinterhof der Glogauer Straße 6. Zur Zeit arbeiten hier neben den Künstler*innen Clemens von Wedemeyer, Joa Herrenknecht und Laura Horelli als Hauptmieter*innen noch Raphael Grisey und Heba Amin.
Alles fünf bekannte Namen in der Kunstszene.

Diese Ateliergemeinschaft ist eine der letzten verbliebenen Ateliergemeinschaften in diesem für Kreuzberg so typischen Haus mit mehreren Gewerbehöfen und einer langen Geschichte als Atelierhaus seit den 80er Jahren. Schon nach der letzten Mieterhöhung von 5,50 auf 8,50 Euro mussten 2018 Künstler*innen wie Katja Strunz, Uwe Henneken und weitere aufgeben. Auch andere bislang hier beheimatete Kleingewerbe, etwa eine Geigenbauerwerkstatt, sind schon weggezogen. Nun sollte die Miete in diesem Jahr mit 15,50 Euro erneut fast verdoppelt werden.

Nach Intervention und Verhandlungsversuchen der Künstler*innen mit der Eigentümerin, der Kuthe Immobilien-Holding GmbH, hat diese der Ateliergemeinschaft nun zum 31. Mai 2020 den Mietvertrag und jegliche darin enthaltene Verlängerungsoption gekündigt. Denn, so frohlocken die Eigentümer*innen: „In den letzten Jahren hat sich die Marktsituation in unserer Stadt im positiven Sinne dynamisch entwickelt. Diese Entwicklung blieb nicht ohne Einfluss auf den Mietmarkt für Gewerbeflächen, insbesondere auch in Kreuzberg“. Ziel und – laut Eigentümer bei Neuvermietung durchaus möglich – sind 22 Euro pro Quadratmeter. Unbezahlbar selbst für etablierte Künstler*innen.

Schreiben gegen Machtlosigkeit

Und wieder einmal sind Bezirksamt und die Bezirksverordnetenversammlung weitgehend machtlos gegen diese Gier, die schon so viele Künstler*innen und Kreative aus unserem Bezirk vertrieben hat. Denn auch für Ateliers, Galerien, Theater, Clubs etc., also alle künstlerischen Produktions- und Präsentationsstätten gilt ebenso wie etwa für soziale Einrichtungen das Gewerbemietrecht. Und in diesem ist keinerlei Schutz vor kurzfristigen Kündigungen oder unbegrenzten Mieterhöhungen verankert. Es herrscht der pure Markt.

Doch da diese GmbH sich selbst als alteingesessenes Berliner Familienunternehmen bezeichnet und einer der Geschäftsführer, Stefan Freymuth offensichtlich zumindest geschäftlich durchaus kulturell interessiert ist, bestand zunächst die Hoffnung, dass die Eigentümer*innen aus Sorge um ihr Image oder gar tieferer Einsicht einlenken könnten.

Denn sind es doch gerade jene, die sie mit ihren maßlosen Mieterhöhungen verdrängen, die durch ihre Arbeit und deren Ausstrahlung die Kieze so attraktiv und damit letztlich ihre Immobilien so wertvoll machen. Und so haben sich zunächst die direkt gewählte grüne Bundestagsabgeordnete Canan Bayram, die Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe, die grüne Wahlkreisabgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus von Berlin Marianne Burkhardt-Eulitz, der Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Bildung und die Kulturstadträtin von Friedrichshain-Kreuzberg, der Senator für Kultur und Europa an die Geschäftsführung der Kuthe Immobilien-Holding geschrieben und sich für den Verbleib der Ateliergemeinschaft eingesetzt, Gespräche angeboten.

Darüber hinaus haben über 30 Initiativen und Institutionen sich in einem Kiezbrief an die Eigentümer*innen gewandt und sich für die Ateliergemeinschaft eingesetzt.

Die Antwort

Die Reaktion dieses sogenannten Berliner Familienbetriebes: Keine Antwort. Bei telefonischen Nachfragen bei der Geschäftsführung des Unternehmens entsteht eher der Eindruck, dass man nicht so recht verstehe, weshalb sich gewählte Volksvertreterinnen oder Amtsträger auf Bezirks- und Landesebene sich in „interne Vertragsangelegenheiten“ einmischen und dies offensichtlich auch nicht sonderlich schätzt.

Mehr noch: Inzwischen werden die Räume der Ateliergemeinschaft auf Immo Scout 24 als „Topstandort zwischen Landwehrkanal und Skalitzer Straße“ für 5.500 Euro plus 484 Euro Nebenkosten monatlich ab 1.11.2020 angeboten. In der Objektbeschreibung heißt es: „Das ehemalige Fabrikgebäude, i

n dem sich die  Fläche befindet, wurde im Laufe der Jahre behutsam modernisiert und fand Zuspruch bei unterschiedlichen Branchen und Nutzergruppengruppen, die hier heute Teil einer vielfältigen Mieterstruktur sind und eine ihren Bedürfnissen entsprechende Nutzung realisieren konnten. (…)“

Offensichtlich versteht da jemand nicht, dass er gerade dabei ist, eben jene „vielfältige Mieterstruktur“ meistbietend zu zerstören.

Dieses Beispiel zeigt: Wir brauchen dringend gesetzliche Instrumente des Millieuschutzes auf für Gewerbe um die Vielfalt unseres Bezirkes erhalten und seine Künstler*innen vor Verdrängung zu schützen und gierige Immobilienbesitzer*innen in ihre Schranken zu verweisen. Zwar haben Bündnis 90/Die Grünen sowohl auf Landes als auch auf Bundesebene hierzu Gesetzes-Initiativen gestartet. Doch für die Künstler*innen in der Glogauer 6 wird all dies zu spät kommen. Deshalb bleibt jetzt nur Widerstand und Öffentlichkeit.

Unterstützen Sie die Künstler*innen und schreiben Sie an dieses selbsternannte Berliner Familienunternehmen:

Arnold Kuthe Immobilienverwaltungs GmbH, Brunsbütteler Damm 120-130, 13581 Berlin

E-Mail: kontakt@kuthe.de

Oder unterschreiben Sie die Petition Glogauer Strasse 6 Bleibt! online:

http://chng.it/n24dqwM6qj

Werner Heck, Bezirksverordneter für den Stachel 04/2020