Die Grünen setzen sich energisch für eine integrative Bildungspolitik ein
Die jüngste Auswertung der PISA-Ergebnisse und die Grundschulstudie IGLU unterstreichen noch einmal deutlich, dass unser Schulsystem in einer Krise steckt. Die Trennung in „Inländer“ und „Ausländer“ ist institutionalisiert in unseren Gesetzen, sie prägt die Gesellschaft und ihre Einrichtungen. Schulen bilden keine Ausnahme – so auch einer der alarmierenden Befunde der PISA-Studie, die den engen Zusammenhang zwischen den Bildungschancen und der Herkunft der Jugendlichen eindrücklich belegt. Jugendliche aus sozial schwachen Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund schneiden am schlechtesten ab und haben es in der Schule offenbar am schwersten. Unser Schulwesen wird weder dem demokratischen Anspruch auf Chancengleichheit noch den Anforderungen des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes gerecht. Die jahrelange Unterfinanzierung der Schulen und die versäumten inhaltlichen Reformen sind der Grund für das schlechte Abschneiden der deutschen SchülerInnen – und nicht die Herkunft der SchülerInnen. Wir brauchen eine motivierende Pädagogik, die davon ausgeht, dass jedes einzelne Kind begabt ist, anstatt ein pädagogisches Denken, das vorrangig Schwächen herausfinden und nachweisen will. Wir müssen Kindern und Jugendlichen in erster Linie zeigen, was sie können und nicht, worin sie ggf. versagen. Darüber hinaus wird die Unhaltbarkeit des herkömmlichen dreigliedrigen Schulsystems immer deutlicher. Die Hauptschule sollte ursprünglich auf Facharbeiter- und Industrieberufe vorbereiten. Bedingt durch höhere Anforderungen der Arbeitgeber und durch den allgemeinen Strukturwandel ist die Hauptschule heute hingegen nur noch „Restschule“. Im Kern hat sowohl die Hauptschule als auch überhaupt das dreigliedrige Schulsystem seine Ursprünge in der Ständegesellschaft des Kaiserreichs. Sowohl die Ständegesellschaft als auch die alten Industrien sind bekanntermaßen Geschichte. Schülerinnen und Schüler mit einem Migrationshintergrund verteilen sich sehr unterschiedlich auf die verschiedenen Schulformen und Bildungsgänge: Überproportional hoch ist der Besuch der Haupt- oder Sonderschule, so auch die Zahl der Schulabgängerinnen und Schulabgänger ohne Schulabschluss; deutlich unterproportional ist dagegen ihr Anteil in Realschulen, Gymnasien bzw. gymnasialen Oberstufen. Bildungserfolge der Kinder aus Familien ausländischer Herkunft sind wie bei den einheimischen Kindern abhängig von den der Familie zur Verfügung stehenden materiellen, kulturellen und sozialen Ressourcen. Eltern-LehrerInnen-Gespräche scheitern oft an der sozio-ökonomischen, kulturellen und sprachlichen Distanz, die Kommunikation wird sogar häufig aus Angst und Unsicherheit vermieden. Demgegenüber konzentrieren sich die Lehrkräfte eher auf ihre fachwissenschaftliche Qualifikation und verfügen selten über fundierte pädagogisch-psychologische Kenntnisse und Kompetenzen in der interkulturellen Kommunikation. Es überwiegt häufig eine defizitäre Betrachtung und die Bikulturalität und Bilingualität der SchülerInnen werden eher als Integrationshindernis anstatt Ressourcen betrachtet. Eine Einwanderungspolitik, die die gleichberechtigte Teilhabe der Zuwanderer zum Ziel hat und sie dazu befähigen will, muss daher neben der gleichberechtigten politischen Teilhabe am Gemeinwesen auch die Möglichkeit der sprachlichen Partizipation ermöglichen. Erst die Verfügung über die deutsche Sprache in Wort und Schrift ermöglicht eine aktive Auseinandersetzung mit der hiesigen Gesellschaft und ihrer Kultur. Die Beherrschung der deutschen Sprache ist eine entscheidende Voraussetzung nicht nur für den Bildungserfolg, sondern auch für eine gleichberechtigte Teilnahme an der Gesellschaft und steht nicht im Widerspruch zum Wunsch mancher ausländischer Familien, die Muttersprache zu pflegen. Daher ist für alle Bildungseinrichtungen eine stärkere multikulturelle und multilinguale Ausrichtung der Kollegien wichtig. Als besonders bedeutsam ist die Ausbildung und Fortbildung des Lehrpersonals und deren interkulturelle Qualifikation anzusehen. In den verschiedenen Studienfächern für das Lehramt muss deutlich werden, wie schulischer Unterricht für Kinder mit unterschiedlichen Sprachkenntnissen und unterschiedlichen kulturellen Hintergründen zu planen ist. Dies ist nicht nur im Sprachunterricht, sondern in allen Sachfächern zu berücksichtigen. Konsequente Förderprogramme zum Abbau von Sprachdefiziten neben der Förderung der Muttersprache, gezielte Maßnahmen zum Erwerb fehlender Schulabschlüsse sowie strukturverbessernde Maßnahmen für Schulen mit hohem Anteil an SchülerInnen nichtdeutscher Herkunft sind in diesem Zusammenhang unabdingbar. Dabei kommt den Kitas als vorschulische Bildungseinrichtung eine große Bedeutung zu. Diese muss sowohl personell als auch finanziell für die zu bewältigenden Aufgaben gerüstet sein. Das entlässt allerdings die Eltern und die Familien keineswegs aus der Verantwortung. Die besten Bildungsmodelle und Schulprogramme sind oft zum Scheitern verurteilt, solange die Elternhäuser diese als wichtige Erziehungsinstanz nicht begleiten. Deshalb ist es erforderlich, die Elternhäuser zu erreichen und sie für eine bessere Bildung ihrer Kinder zu gewinnen. Es ist notwendig, auch die Eltern zu bilden. Wir stehen vor den Ergebnissen jahrzehntelanger Ignorierung der Tatsache, dass Deutschland zum Einwanderungsland wurde. Wir können uns jedoch eine Entwicklung nicht leisten, in der soziale Ungleichheiten ethnisch überlagert, verschärft und verfestigt werden und Zukunftschancen zunehmend ungleich verteilt sind. Daher brauchen wir jetzt erst recht eine offensive Bildungspolitik, die in die Köpfe und Fähigkeiten eines jeden jungen Menschen investiert, egal woher die Eltern oder Großeltern kommen.
Özcan Mutlu, MdA bildungspolitischer Sprecher