Zum angekündigten Räumungstermin für das Hausprojekt Liebig 34 erklären der Kreisverband und die BVV-Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen Friedrichshain-Kreuzberg:

„Die anstehende Räumung ist insbesondere unter den gegebenen Entwicklungen der Coronapandemie unverhältnismäßig. Es werden Tatsachen geschaffen, obwohl weiterhin berechtigte offene Fragen nicht abschließend gerichtlich geklärt sind.“

In Berlin sind immer mehr Menschen von Verdrängung bedroht. Gleichzeitig werden wie auch in der Liebig 34 einseitig die Interessen von Investor*innen durchgesetzt. Die zunehmende Verdrängung, ob von Mieter*innen, Gewerbe oder Freiräumen, schafft verständlicherweise Angst und Verzweiflung.

Ohne seine alternativen und durchaus auch umstrittenen Haus- und Kulturprojekte wäre Berlin nicht das Berlin, das auch heute noch Stadt der Freiheit und Magnet für Menschen aus aller Welt mit den verschiedensten Biografien ist.

Land und Bezirke müssen sich gemeinsam verständigen, wie Freiräume in der ganzen Stadt erhalten und neu geschaffen werden können. Wir bedauern, dass trotz intensiver Bemühungen keine Lösung für die Liebig 34 gefunden werden konnte.

Es steht zu befürchten, dass die Räumung unter Einsatz von tausenden von Polizist*innen während der Covid-19-Pandemie einen ganzen Stadtteil in einen Ausnahmezustand versetzt. Dazu gehört leider auch die unverhältnismäßige Schließung von umliegenden Schulen und Kitas. Die Kosten für die Allgemeinheit rechtfertigen die Durchsetzung eines rechtskräftigen Räumungstitels unter diesen Umständen nicht.

Gerade jetzt ein solch massives Polizeiaufgebot aus dem gesamten Bundesgebiet in ein Risikogebiet zusammenzurufen, ist nicht nur unverhältnismäßig, sondern unvernünftig. Nach den Erfahrunge

n mit der zu Recht kritisierten Räumung des Syndikats haben wir die Befürchtung, dass die anstehende Räumung der Liebig 34 den Kiez auf Dauer belasten wird.

Die bisherige Informationspolitik im Zusammenhang, insbesondere gegenüber den Anwohner*innen, mit dem tagelang angesetzten Polizeieinsatz ist dürftig. Es steht zu befürchten, dass legitimer, politischer Gegenprotest von vornherein weiträumig unterbunden werden soll. Ein Räumungstitel rechtfertigt ein solches Vorgehen nicht.

Gewalt ist für uns jedoch kein legitimes Mittel zum Zweck und weder hilfreich noch akzeptabel. Auch jeder Form von ideologischer Debatte, die darauf ausgerichtet ist, zusätzlich Gewalt zu schüren und diese zu provozieren, treten wir entschieden entgegen. Der Anspruch einer gewaltfreien Konfliktlösung muss für alle gleichermaßen gelten. Gewalt schadet vor allem der Nachbarschaft, die sich für ein friedliches und vielfältiges Miteinander einsetzt.

Wir begrüßen den Vorschlag aus der Nachbarschaft für ein Räumungsmoratorium bis zumindest Frühjahr 2021, um einerseits die aufgeworfenen rechtlichen Fragen zu klären und ergänzend nochmals den Versuch zu unternehmen, mit dem Eigentümer eine tragbare Lösung zu finden.

Foto (c) Vasili Franco