Seit der Gründung Groß-Berlins und damit auch der Stadtbezirke Friedrichshain und Kreuzberg vor 100 Jahren gibt es Debatten wie Berlin, heute bestehend aus zwölf bezirklichen Großstädten, am besten verwaltet und gesteuert werden soll.

Friedrichshain-Kreuzberg für sich genommen ist die Nummer 23 auf der Liste der bevölkerungsreichsten Großstädte Deutschlands und ordnet sich zwischen Augsburg und Mannheim ein. Ganz anders als bei den beiden Städten in Süddeutschland ist die kommunale Selbstverwaltung in Berlin eine Aufgabe, bei der die Landesebene und die Bezirke eng verschränkt miteinander zusammenarbeiten. Die aktuell diskutierten Reformvorschläge sollen deshalb das Verhältnis zwischen den Bezirksämtern und den landesseitigen Senats- bzw. Hauptverwaltung neu ordnen. Soweit, so viel Verwaltung, nur wo bleibt das Selbst in Selbstverwaltung? Was ist die Rolle der kommunalen Demokratie? Wer entscheidet was und wer trägt anschließend die Verantwortung für die Folgen der Entscheidungen?

Hierarchie und preußische Obrigkeit

Über die letzten Jahrhunderte hinweg konnten die Berliner*innen zumeist selbst wenig über ihre Belange entscheiden. Entschieden wurde etwa durch eine preußische Obrigkeit, die in ihrer Residenzstadt Berlin mit Hilfe einer strikt hierarchisch organisierten Verwaltung Dekrete durchexekutieren ließ. Beteiligungsmöglichkeiten waren schwach ausgeprägt und wurden argwöhnisch beobachtet. Auch im 20. Jahrhundert, nach Ende der Hohenzollern-Herrschaft, waren unterschiedlichste Machthaber und Obrigkeiten damit beschäftigt viele zentrale Entscheidungen über Berlin ohne seine Bewohner*innen zu fällen. Der Modus blieb die Hierarchie: das Prinzip oben befehlen und unten gehorchen. Heute können wir Berliner*innen glücklicherweise selbst entscheiden, wie unsere zweigliedrige Verwaltung aus Bezirken und Hauptverwaltung aussehen soll. Dabei gilt es zwei Grundprinzipien neu auszutarieren: Demokratie und die Hierarchie der Verwaltung.

Wie alle öffentlichen Verwaltungen und die allermeisten Unternehmen sind die Bezirks- und Hauptverwaltungen in Berlin hierarchisch organisiert. Jeder Arbeitsschritt muss mit der darüberstehenden Ebene oder der darunter befindlichen Verwaltungsebene abgestimmt werden. Sehr viele Schnittstellen, sehr viele Reibungsverluste. Wenn zusätzlich auch zwischen Senatsverwaltungen und den Bezirken Schnittstellen zwischen kommunalen und ministeriellen Aufgaben dazu kommen, lauert das Verantwortungschaos, Behörden-Ping-Pong und lange Bearbeitungsdauern. Egal wie sehr wir uns mit einer Verwaltungsreform auch anstrengen, solche Schnittstellenprobleme werden auch danach neu auftauchen und dann gelöst werden müssen. Gerade dafür braucht es starke Parlamente, die dynamisch in den Bezirken und im Abgeordnetenhaus Entscheidungen für jede Art von neu auftauchenden Problemen treffen können. Bisher dreht sich die Debatte zu sehr um die Verwaltungshierarchie selbst und zu wenig um die Lösungskraft der Demokratie.

Von oben nach unten?

Verwaltungsmodernisierung aus der Verwaltungsperspektive selbst sieht ungewollt leicht wie eine Verschärfung der Hierarchie aus: Vorschläge wie mehr Controlling, mehr Monitoring und mehr Kontrollmöglichkeiten der Verwaltungsspitze, von oben nach unten werden ein- und aufgebaut. In diesem Sinne sind Vorschläge wie die Vereinheitlichung der Abteilungsstrukturen aller Bezirke oder erweiterte Eingriffsmöglichkeiten der Fachaufsicht auf Landesebene zu verstehen. Die ministerielle Senatsverwaltung vermutet durch mehr Kontrollmöglichkeiten die Umsetzung kommunaler Aufgaben besser steuern zu können als die bezirklichen Beschäftigten, die Bezirksämter und die Bezirksparlamente. Dabei sind es doch eben diese bezirklichen Akteure, die Wissen was und wie etwas vor Ort auch funktionieren kann. Wer glaubt dies sei der richtige Weg für Berlin, der möge sich die bisher ausgebliebenen Zentralisierungserfolge der IT-Steuerung im Land Berlin anschauen.

Vielversprechender als zentralplanerische Hierarchien mit zusätzlichen Kontrollmöglichkeiten auszustatten sind Zielvereinbarungen zwischen den Bezirken und den Senatsverwaltungen. Ganz im Sinne einer Demokratisierung der Verwaltungsbeziehung im Land Berlin bieten sie die Chance auf mehr Augenhöhe und Kooperation in der zweiteiligen Verwaltungsstruktur. Klar muss dabei sein, dass die Seite, die die Ziele vorgibt, damit aber auch die Verantwortung für die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen zur Zielerreichung übernimmt. Was in der Kneipe gilt, gilt auch für Zielvereinbarungen zwischen Bezirken und Senat: Wer die Runde bestellt, muss sie am Ende auch zahlen.

Mehr bezirkliche Demokratie

Der Vorschlag den Bezirksbürgermeister*innen mehr Entscheidungskompetenz zu geben, muss mit einem mehr an bezirklicher Demokratie einhergehen. Entscheidend ist hier nicht, wer dieses Amt auf Zeit innehat, sondern ob die Kontrollmöglichkeiten der Bezirksparlamente gegenüber der Leitung der Bezirksverwaltung gleichermaßen gestärkt werden. Proteste von Einwohner*innen oder gar Fehlentscheidungen der Verwaltungsspitze dürften sich häufen, wenn eine gestärkte Bezirksbürgermeister*in keiner hinreichenden demokratischen Rückkopplung in der BVV gegenüber steht.  Zentral wird es sein, ob es gelingt auch auf parlamentarischer Seite die Zuständigkeiten klarer zu ordnen. Deshalb müsste das politische Bezirksamt eingeführt werden. Damit gäbe es in jeder Bezirksverordnetenversammlung Regierungsfraktionen und genauso wichtig, echte Oppositionsfraktionen, die eine andere Vorstellung von der Zusammensetzung des Bezirksamtes hätten und auf einen Wechsel drängen würden, da sie selbst das bessere Konzept bei sich vermuten würden.

Herrschaft des Geldes

Die in Teilen behäbige, hierarchische Steuerung der zweigliedrigen Verwaltung Berlins hat dazu geführt, dass zunehmend fiskalischer Steuerung an dessen Seite getreten oder diese gar ersetzt hat. Kurz gesagt, werden dann Entscheidungen, ob und wer etwas macht dadurch getroffen, wer das Geld dafür bekommt – oder auch nicht. Dies spiegelt sich in der Relevanz von SenFin gegenüber allen anderen Senatsverwaltungen. Und vielmehr noch in den Schnittstellen zwischen Hauptverwaltung und Bezirken. Längst nicht alle Teile der bezirklichen Budgets können von den verantwortlichen Bezirksparlamenten in den Haushaltsberatung transparent und öffentlich auf den Prüfstand gestellt und im Zweifel umgeschichtet werden. Zwar gibt es bezirkliche Globalsummen, doch eine Vielzahl von Sonderprogrammen und weiteren Nebenabreden zwischen Bezirksamtsmitgliedern und den Senatsfachverwaltungen machen das Dickicht der fiskalischen Steuerung undurchsichtig für Öffentlichkeit. Sonderprogramme und zusätzliches Geld der fachlich zugeordneten Senatsverwaltungen werden nach Gutdünken, mal gut, mal schlecht begründet mit diffuser Zielsetzung an die Bezirke weiter gereicht. Eine öffentliche Debatte über die Sinnhaftigkeit und Ausgestaltung dieser Finanzmittel muss die ausschüttende Senatsverwaltung oftmals nicht fürchten. Und mit entsprechender Qualität sind viele Programme auch gestrickt. Es ist daher sinnvoll alle Sonderprogramme in die Bezirksbudgets zu überführen und den Mut aufzubringen, den Berliner Bezirken deutlich mehr Finanzhoheit – auch in Form von Teilen des lokalen Steueraufkommens – direkt zu überlassen. Alle zwölf Bezirke haben Bezirksparlamente, die über alle Mittel, die die Bezirksämter ausgeben, demokratisch entscheiden sollten.

Zusammengepuzzelt?

Die Berliner Konstruktion als Stadtstaat, Bundesland und Metropole zusammengepuzzelt aus zwölf Großstädten ist der beständige Kern für jede Reformanstrengung. Die Bezirke sind vielfältig, die Zusammensetzung der Bezirksparlamente spiegelt diese Vielfalt auch politisch wider. Kommunale Selbstverwaltung ist am besten in der Lage, auf die unterschiedlichsten Wünsche der Berliner*innen in ihren jeweiligen Bezirken einzugehen. Wir sollten den Schnittstellenproblemen der Verwaltungshierarchie mit mehr Transparenz und einem mehr an demokratischer Kontrolle begegnen. Kürzere Legitimationsketten vom Abgeordnetenhaus zu den Senatsverwaltungen und mehr Einfluss der Bezirksverordnetenversammlungen auf das Bezirksamt helfen das Verantwortungs-Ping-Pong zu reduzieren. Wir sollten ein mehr an kommunaler Demokratie wagen, um die Berliner Verwaltung in Zukunft besser zu machen.

Tobias Wolf, Bezirksverordneter für den Stachel Dezember 2020