Angemeldet waren 2.000 Personen. Tatsächlich kamen ungefähr 30.000 Menschen am 23. März in Berlin zusammen, um gegen die geplante Urheberrechtsreform auf EU-Ebene zu demonstrieren.
Auch wir Bündnisgrünen aus Friedrichshain-Kreuzberg waren gemeinsam mit der LAG Netzpolitik dabei, um unsere Kritik auf die Straße zu tragen. Bei Protesten ging es vor allem um den Artikel 13 (17). Dieser verpflichtet Internetfirmen und -projekte implizit, automatisierte Upload-Filter zur Kontrolle der Urheberrechte zu entwickeln. Eine Technologie, die von vielen Netzexpert*innen dafür kritisiert wird, unbemerkt für Zwecke der politischen Zensur missbraucht werden zu können. Insbesondere in Mitgliedstaaten wie Polen, wo sogar die Europäische Kommission Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit äußert, stellt eine solche Infrastruktur eine ernsthafte Gefahr für die Meinungsfreiheit dar. Doch auch bei Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze könnten technische Fehler in der Filterung ungewollt politische und künstlerische Texte, Videos oder Podcasts aussortieren. Die Reform richtet sich daher gegen die Interessen von Urheber*innen und Internetnutzer*innen, anstatt deren Rechte zu stärken. Trotz der breit angelegten, internationalen Proteste stimmten die Abgeordneten des Europaparlaments am 26. März für die Reform. Erfreulich ist immerhin, dass die Proteste zumindest in Deutschland Wirkung gezeigt haben: Viele Abgeordnete, die bei Abstimmungen 2018 noch für den Entwurf votierten, änderten ihr Abstimmungsverhalten.
Hashtag #GehtWählen
Nach der Abstimmung trendete auf Twitter das Hashtag #GehtWählen. Die Posts machen deutlich, dass der Kampf für ein freies Internet auch das künftige Europaparlament beschäftigen wird. Denn wir Europäer*innen brauchen dringend ein Urheberrecht, das moderne Mediennutzung von Texten, Videos und Audio fördert, anstatt sie zu einzuschränken. Junge Kreative nutzen Plattformen, wie Soundcloud, YouTube oder Snapchat, um eigene mit bestehenden Kreativinhalten zu verbinden. Im Internet entstand eine ganz neue, referenzielle Kunstrichtung. Solche progressiven Kunstformen durch ein „Recht auf Remix“ zu unterstützen, muss Gegenstand einer weiteren Novelle des EU-Urheberrechts sein. Kreativität – beflügelnd für den demokratischen Diskurs – sollte nicht behindert, sondern ermöglicht werden. Gleichzeitig leben noch immer viele Künstler*innen in prekären Verhältnissen. Die aktuelle Reform ändert an diesen Zuständen leider nichts. Die Artikel 11 und 12 etablieren ein paralleles Vergütungssystem für Verlagshäuser, ohne Einbeziehung der Autor*innen. Durch zielgerichtete Fehlinformationen, eine teure Lobby-Kampagne und den Missbrauch verlegerischer Gatekeeper-Funktionen ist es den Medienkonzernen gelungen, die Unterstützung einzelner Kreativer für ihre Firmeninteressen zu gewinnen.
Eine europäische Lösung
Der lautstarke Protest hat CDU und SPD aufhorchen lassen und sie veranlasst, in populistischer Manier das Ausbessern der gröbsten Schnitzer in deren nationalen Ausgestaltung zu fordern. Dies zeugt nicht nur von ihrem fehlenden Gestaltungswillen, auf ihre jeweiligen Fraktionen im Europaparlament einzuwirken. Es ist auch Ausdruck eines anti-europäischen Denkens, unionsrechtliche Verpflichtungen auf nationaler Ebene unterlaufen zu wollen. Denn bei aller Kritik an der Richtlinie wollen wir keinen nationalen Flickenteppich an Urheberrechtsregeln, sondern eine europäische Lösung der Herausforderungen des Digitalzeitalters. Wir wollen den öffentlichen Raum im Internet stärken, Großkonzerne in ihre Schranken weisen und eine digitale Almende erhalten. Dazu brauchen wir einen gemeinsamen digitalen Binnenmarkt in der EU und keine nationalen Alleingänge. Anstatt kritische Internetnutzer*innen als „Bots“, also fremdgesteuerte Hohlköpfe, zu beschimpfen, müssen wir Netzbewohner*innen endlich ernst nehmen und am weiteren Reformprozess beteiligen. Bei den Europawahlen am 26. Mai wollen wir daher uns für eine durchdachte und wahrlich europäische Digital- und Netzpolitik einstehen. Macht mit – wir sind die Bots!
Nikolas Becker und Silvia Rothmund, Geschäftsführender Ausschuss für den Stachel Mai 2019