Parallelen kreuzen sich in der Unendlichkeit – Parallelgesellschaften müssen im Hier und Jetzt miteinander reden, fordert Özcan Mutlu bildungspolitischer Sprecher im Berliner Abgeordnetenhaus
Das Nebeneinander von Menschen verschiedener Herkunft überfordert uns angeblich seit jeher und ganz besonders jetzt. Die sprachliche, wirtschaftliche, soziale und politische Integration sei gescheitert. In letzter Zeit ist auch das Thema Religion in den Mittelpunkt gerückt und der „Islam“ prägt die Debatte.
Spätestens seit dem 11. 09. 01 mit der Zerstörung des World Trade Centers in New York befindet sich der Islam in der Schusslinie. Und zwar deswegen, weil sich durch dieses nach wie vor unfassliche Ereignis die westlichen Gesellschaften ihrerseits in der Schusslinie des Islams fühlen. Jeder Terroranschlag, der seitdem von Islamisten irgendwo auf der Welt verübt wurde, hat dieses Feindbild noch vertieft. Deshalb muss immer wieder an den Gemeinplatz erinnert werden, dass der so genannte „islamistische Terror“ und der Islam keineswegs identisch sind. Die wenigsten bei uns lebenden Muslime vertreten einen anti-liberalen oder anti-westlichen Islam. Die überwältigende Mehrheit der Muslime erkennt die Verfassung der Bundesrepublik an und ist längst in der Gesellschaft angekommen. Religiöser Fanatismus ist ihnen genauso fremd, wie z.B. den allermeisten Katholiken hierzulande. Abgesehen davon, lebt der Großteil der Muslime ohnehin einfach nur unprätentiös seine angestammte Religion, wie das auch Protestanten, Katholiken und AnhängerInnen sonstiger Religionen es tagtäglich tun.
Der Dialog und die Auseinandersetzung mit dem Islam in Europa sind keine Terrorprävention, aber dennoch bitter notwendig. Diese Auseinandersetzung als verhärteten Kulturkampf zu führen, wäre genauso fatal wie ein, von falsch verstandener Toleranz weichgespülter Scheindialog, der allen echten Konfliktfeldern zwischen westlicher Moderne und traditionell-religiösen Vorstellungen aus dem Wege geht. Ein Islam jedoch, der u. a. eben auch im Zuge eines solchen Dialoges einen eigenständigen Platz in der europäischen Kultur einnimmt, wäre für fanatische Gestörte ein ungeeignetes Rekrutierungsfeld. Insofern könnte ein intelligenter Dialog mittelfristig einen wichtigen Beitrag zur Terrorprävention leisten. Der wechselseitige Respekt und die Anerkennung der Andersartigkeit ist dabei ein wichtiger Faktor.
Die Notwendigkeit des Dialogs mit den in der Bundesrepublik lebenden Muslimen liegt auf der Hand, besonders wenn ein friedliches Miteinander in der Gesellschaft angestrebt wird und Partizipation gewollt ist. Allerdings sind in der Mehrheitsgesellschaft Tendenzen zu beobachten, die derart von Naivität geprägt sind, dass der interreligiöse Dialog zu einer Farce und damit zu einer Gefahr zu werden droht. Dabei fällt besonders auf, dass in jüngster Zeit die deutsche Politik immer öfters auf das Dialoggefasel einiger fragwürdiger Organisationen, wie zum Beispiel der Gülen-Sekte, hereinfällt. Letztere ähnelt in Struktur und vom Aufbau her der Scientology Church. Die Gülün Sekte betreibt in der gesamten Republik zahlreiche Vereine und Schulen.
Was jedoch kein Beitrag für ein friedvolles Miteinander ist, sind undifferenzierte Schuldzuweisungen von selbsternannten ExpertInnen und ist die aus bestimmten politischen Richtungen immer wieder zu hörende Forderung nach schärferen Sicherheitsgesetzen. Die bestehenden Instrumente und Gesetze reichen völlig aus. Einschränkungen persönlicher Freiheiten und von Bürgerrechten sind der falsche Weg. Sie führen zur Stigmatisierung und machen den Dialog unmöglich. Damit wird genau denen in die Hände gespielt, die jungen Muslimen eintrichtern wollen, dass der „Westen“ sie nur unterjochen will.
Es ist unstrittig, dass es Probleme gibt. Einwanderungsgesellschaften sind selten frei von Konflikten. Schließlich ist Integration kein fortwährendes Straßenfest, sondern ein wechselseitiger dynamischer Prozess. Für dessen Gelingen sind wir alle gemeinsam verantwortlich, egal woher unsere Eltern kommen oder welchem Glauben wir angehören.
Özcan Mutlu Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses