19 mal stand die Berliner Polizei zwischen Januar 2018 und Oktober 2020 an der Friedenstraße, um mit Messgeräten die Geschwindigkeit der an der Spartacus-Schule passierenden Fahrzeuge zu kontrollieren. Dort gilt Tempo 30 – und nicht nur die Eltern der Grundschüler*innen dürfte das Ergebnis schockieren: 1.225 Fahrer*innen fuhren schneller als erlaubt – mit einem Spitzenwert von 72 Stundenkilometern.

Der Zebrastreifen an der Schule – für viele Autofahrer*innen offenbar nur Dekoration. Erzieher*innen und Lehrer*innen stehen mitunter fassungslos mit ihren Klassen an dem
Fußgängerüberweg – während ein Auto nach dem anderen einfach vorbeifährt. Kein Wunder, dass sich viele Menschen Sorgen um die Verkehrssicherheit machen. Bezirk und Senat tun bereits einiges: Seit ein paar Wochen verbessern Poller auf der bislang oft zugeparkten Sperrfläche vor dem Zebrastreifen die Sicht – und ein weiterer Fußgängerüberweg an der Koppenstraße ist in Planung. Doch das alles reicht nicht – da sind sich die Initiator*innen des Kiezblocks Friedenstraße einig. Ihr Ziel: Der Durchgangsverkehr muss weg. Die Schneise durch den Kiez soll einem Lebensraum für Menschen weichen.

 

1.000 Unterschriften für Einwohner*innenantrag

Dafür haben sie bereits mehr als 600 Unterschriften für einen Einwohner*innenantrag gesammelt – und sind eine von 14 Kiezblock-Initiativen allein in Friedrichshain-Kreuzberg (siehe Info-Kasten). Sind mindestens 1.000 Unterschriften beisammen, muss sich die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) mit dem Antrag beschäftigen. Einige Initiativen sind schon ein paar Schritte weiter: Zum Beispiel im Wrangelkiez, im Samariterkiez und im Bergmannkiez gibt es bereits Durchfahrtsperren. Die Einwohner*innenanträge der Kiezblock-Initiativen Großbeerenstraße, Ostkreuz und Kreuzberger Luisenstadt wurden vor einem Monat von der BVV beschlossen. Fragt man die Initiativen nach Reaktionen der Bürger*innen, zeigt sich ein recht einheitliches Bild: „Bei der Unterschriftensammlung hatten wir ganzüberwiegend positive Reaktionen“, berichtet Inge Lechner vom Ostkreuz-Kiezblock. „Wir rennen damit offene Türen ein. Viele Menschen sorgen sich um die Verkehrssicherheit“, sagt Peter Fuchs vom Kiezblock Friedenstraße. Ohnehin nutzten viel weniger Menschen ein Auto als oft angenommen (laut einer WZB-Studie besitzen in Xhain 40 Prozent der Haushalte ein Auto, aber nur 14 Prozent fahren täglich damit). „Und immer mehr Leuten wird bewusst, dass die Blechlawinen in unseren Straßen kein Naturgesetz sind und Fußgänger*innen, Radfahrer*innen und spielende Kinder mindestens genauso ein Recht auf den öffentlichen Raum haben.“ Auch die Klimaerwärmung macht vielen Menschen Sorge: „Statt Asphalt brauchen wir viel mehr Grün, um die Stadt in den immer häufigeren Hitzeperioden abzukühlen“, sagt Fuchs. Das sieht auch die Bundesregierung so: Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) hat im März das Sofortprogramm Klimaanpassung vorgestellt, das die Kommunen mit zusätzlichen 60 Millionen Euro und Fachleuten unterstützen soll, um sich für Extremwetter besser zu wappnen. Natürlich gibt es auch Kritik an den Kiezblock-Vorschlägen. Besonders häufig nennen die Initiativen die Bedenken von Autofahrer*innen oder Geschäftstreibenden, die sich um Parkplätze und Be-/Entladefläche sorgen. „Wir sind da ganz ehrlich: Ja, unser Ziel ist es auch, die Zahl der Autos in der Stadt insgesamt zu reduzieren und für mehr Flächengerechtigkeit zu sorgen“, sagt Peter Fuchs. Von einem kompletten Autoverbot könne aber keine Rede sein: „Es geht vorrangig darum, den Durchgangsverkehr aus dem Kiez zu bekommen. Man wird aber weiterhin be- und entladen können, auch Müllabfuhr und Krankenwagen können jede Stelle erreichen. Das funktioniert ja auch in Fußgängerzonen und Sackgassen.“

 

Weniger Autos – auch darum geht es

Denn das ist das Prinzip der meisten Kiezblocks: Durch Durchfahrtsperren und sogenannte Modalfilter – praktisch sind das zum Beispiel Poller oder Einbahnstraßen, manchmal auch kleine Parks auf bisherigen Fahrbahnen – wird eine Durchfahrt durch den Kiez für Kraftfahrzeuge unterbunden. Sie müssen um den Kiez herum gelenkt werden. In der zusätzlichen Belastung von Hauptstraßen sehen auch Befürworter*innen der Kiezblocks ein Problem. Beispiel Friedenstraße: Hier müssten Autofahrer*innen einen Umweg von 600 Metern nehmen, um von der Karl-Marx-Allee zur Landsberger Allee zu gelangen: „Über die Lichtenberger Straße und den Platz der Vereinten Nationen – diese Straßen sind aber für mehr Verkehr ausgelegt, haben auch breitere Fußwege und Grünflächen am Straßenrand als die Friedenstraße“, sagt Peter Fuchs.

„Aber natürlich muss das Ziel sein, den MIV (Motorisierter Individualverkehr) insgesamt zu verringern, damit diese Effekte am besten gar nicht erst auftreten.“ Mit den Kiezblocks soll sich auch die Sicherheit für Radfahrer*innen verbessern und das Radfahren damit noch attraktiver werden. „Oft schneller und immer klimafreundlicher ist man mit dem Rad sowieso“, sagt Fuchs. Das sagt auch das Umweltbundesamt: Nach Untersuchungen in deutschen Großstädten führten 40 bis 50 Prozent der Autofahrten über eine Strecke von weniger als fünf Kilometer Länge. Wie sieht es mit der Unterstützung der Politik aus? „Wir haben Glück. Wir wohnen im Vorreiter-Bezirk – und trotzdem geht es extrem langsam voran“, sagt Inge Lechner vom Ostkreuz: „Angst vor oder Verständnis für die Autofahrenden oder einfach zu wenig Personal und Geld? Teilweise sind Projekte seit Jahren beschlossen, es passiert einfach nichts.“ Jonas Lähnemann vom Kiezblock Kreuzberger Luisenstadt sieht das ähnlich: „Auf Bezirksebene gibt es eine starke Unterstützung, auf Landesebene nicht klar genug. Größtes Problem dürften fehlende Planungskapazitäten und ein unzureichendes Budget sein – hier ist insbesondere die Landesebene gefragt.“ Als größtes Problem bei der Umsetzung des Kiezblocks Großbeerenstraße sieht Tobias Stetter „die klar auf den Autoverkehr fokussierten Gesetze auf Bundesebene. Ausprobieren und einfach mal machen ist damit nicht so einfach“. Auch Bezirksstadträtin Annika Gerold (Bündnis 90/Die Grünen) wünscht sich eine schnelle Umsetzung von Kiezblocks in Xhain. Nicht zu unterschätzen sei dabei das Engagement der vielen Bürger*innen, die sich in Initiativen für ihren Kiez stark machen und sich für Veränderungen einsetzen: „Das gibt uns Rückendwind für die radikalen Veränderungen, die wir anpacken wollen – und es treibt uns an.“

 

Wie finanzieren?

Ein Problem, vor dem der Bezirk immer wieder stehe, sei die Finanzierungsfrage: „Das bremst uns leider immer wieder aus und wir können nicht alles so schnell umsetzen, wie wir wollen.“ Dem Bezirk stehe für Maßnahmen der Verkehrsberuhigung oft keine reguläre Finanzierung zur Verfügung. Sie wolle sich deshalb auf Landesebene dafür einsetzen, dass sich das ändert. „Wir sind gerade dabei, ein flächendeckendes Konzept für Verkehrsberuhigung im Bezirk zur erstellen. Dabei fließen auch unsere gerade erstellen Datenanalysen zur Schulwegsicherheit ein. Ich setze mich dafür ein, dass wir bald weitere Veränderungen auf der Straße sehen.“

 

Günter Bartsch

Zeichnung: Naomi Fearn

 

Diese Kiezblock-Initiativen gibt es in Friedrichshain-Kreuzberg

• Rudolfplatz (gegründet)
• Nördliche Luisenstadt (Unterschriftensammlung läuft)
• Gneisenau (Unterschriftensammlung läuft)
• Friedenstraße (Unterschriftensammlung läuft)
• Wrangel (Senat und Bezirk leiten Machbarkeitsstudie ein)
• Gleisdreieck-West (gegründet)
• Graefe (Unterschriftensammlung läuft)
• Reichenberger (Kiezblock in der BVV beschlossen)
• Samariter (Weiterentwicklung mit Anwohnenden)
• Großbeeren (Kiezblock in der BVV beschlossen)
• Ostkreuz (Kiezblock in der BVV beschlossen)
• Kreuzberger Luisenstadt (Kiezblock in der BVV beschlossen)
• Bergmann (Kiezblock in der BVV beschlossen)
• Viktoria (Kiezblock in der BVV beschlossen)
Detaillierte Infos unter kiezblocks.de
Terminhinweis: Am 14. Mai findet eine Protestkundgebung mehrerer
Kiezblocks in Kreuzberg 61 auf der Yorckstraße statt