Initiator: B’90/Die Grünen, Claudia Schulte

Mündliche Anfrage

Abt. Wirtschaft, Ordnung, Schule und Sport
Ihre Anfragen beantworte ich wie folgt:

1. Welche Umstände genau haben das Ordnungsamt zu einer Räumung des Obdachlosencamps zum jetzigen Zeitpunkt veranlasst?

Die Situation auf der Oberbaumbrücke ist seit längerem bekannt. Die Brücke wurde auch aufgrund einer Vielzahl von Beschwerden vom Allgemeinen Ordnungsdienst (AOD) des Ordnungsamtes regelmäßig bestreift, zumal es sich bei der Brücke um das Wahrzeichen unseres Bezirkes handelt, das im Fokus vieler Bürgerinnen und Bürger, Touristen und insgesamt der Öffentlichkeit steht. Über einen längeren Zeitraum hinweg war es nach meiner Einschätzung trotz der zunehmenden Beschwerdelage unverhältnismäßig, dort einzuschreiten. Die Laufbahn war noch breit genug, um ohne Behinderungen zu passieren.

Es war relativ wenig Müll vorhanden. In den letzten Wochen wurde eine deutliche Zunahme des Umfangs an Gerätschaften, Möbeln und Müll vor Ort festgestellt. Das Passieren des Gehwegs wurde immer schwieriger, es gab auch Beschwerden über die obdachlosen Menschen in Bezug auf deren Verhalten, z. B. dass sie Passanten, darunter
auch Kinder, angepöbelt hätten.

Die Zustände auf der Brücke wurden zunächst noch einmal amtlich bestätigt und Mitte März fotografisch dokumentiert. Am 21.03.2017 hat der Allgemeine Ordnungsdienst des Ordnungsamtes mit den anwesenden Menschen auf der Brücke (4 Personen) gesprochen und ihnen verdeutlicht, dass eine weitere Nutzung der Brücke über den Allgemeingebrauch hinaus nicht mehr geduldet wird. An Gegenständen, die sich auf der Brücke befanden, wie Einkaufswagen, Sitzmöbel etc. wurden Aufforderungen zur Beseitigung angebracht. Gleichzeitig erfolgte der Hinweis an die Wohnungslosen, sich ggf. an die Soziale Wohnhilfe oder die Caritas zu wenden.

Die eigentliche Beseitigung der gekennzeichneten Gegenstände und des Mülls war für den
24.03.2017 vorgesehen. An diesem Tag wurden jedoch keine sich dort aufhaltenden Personen mehr angetroffen. Offensichtlich hatten diese nur noch den Müll hinterlassen. Durch Kräfte der BSR wurde die Brücke dann nur noch vom Müll befreit.

2. Warum weiß der Stadtrat nicht, wo die durch die Räumung vertriebenen Menschen
nun untergekommen sind – wie er selbst im Presseartikel einräumt?

Die obdachlosen Personen haben dem Ordnungsamt nicht mitgeteilt, wohin sie sich begeben würden. Es konnte auch nicht beobachtet werden, wohin sie sich begeben. Wie zu 1. ausgeführt, wurden ihnen mögliche Anlaufstellen genannt. Es ist nicht bekannt, ob sie sich an diese Stellen gewandt haben.

3. Welche Angebote zu einer alternativen Unterbringung wurden den Betroffenen im
Zusammenhang mit der Räumung konkret unterbreitet?

Das Ordnungsamt kann mangels diesbezüglicher Kenntnisse und Zuständigkeiten keine entsprechenden Angebote unterbreiten. Es ist dem Ordnungsamt auch nicht bekannt, ob die Betroffenen eine Unterbringung überhaupt wünschen. Zuständig sind insoweit das Sozialamt bzw. das Hilfesystem insgesamt. Ich habe in meiner Funktion als für das Ordnungsamt zuständiger Stadtrat im Januar 2017 darum gebeten, eine ämterübergreifende Abstimmung zur Problematik der zunehmenden Anzahl obdachloser Personen im öffentlichen Raum vorzunehmen, um die Zuständigkeiten, Handlungsmöglichkeiten und Sichtweisen der involvierten Ämter zu erörtern und zumindest das bezirkliche Vorgehen gemeinsam abzustimmen. Auf Verwaltungsebene hat dieser Prozess begonnen. Es bedarf hier aus meiner Sicht eines solchen regelmäßigen ämterübergreifenden Austausches im Bezirk und zusätzlich einer gesamtstädtischen Handlungsstrategie zum Thema Wohnungs- und Obdachlosigkeit, die das Hilfesystem weiter stärkt.

Ein Einschreiten des Ordnungsamtes wie im Falle der Oberbaumbrücke kann immer nur letztes Mittel sein und muss sich auf Einzelfälle beschränken, wenn an bestimmten Orten solche Situationen unhaltbar geworden sind. Ein solches Einschreiten führt in der Regel auch nur zur Verdrängung der betroffenen Personen an andere Orte und nicht zur Verminderung von Obdachlosigkeit.

Das Ordnungsamt kann in seiner Zuständigkeit also nicht zu einer nachhaltigen Strategie der Verminderung von Obdachlosigkeit und damit einher gehender Belastungen für die obdachlosen Menschen selbst beitragen. Zugleich kann es auch nicht nachhaltig dazu beitragen, die zahlreichen Beschwerden über obdachlose Personen im öffentlichen Raum zu vermindern.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal deutlich betonen, dass der Außendienst des Ordnungsamtes ausgesprochen zurückhaltend und deeskalierend agiert. Dies gilt insbesondere in Bezug auf obdachlose Menschen. Dem Ordnungsamt ist durchaus bewusst, dass insbesondere im Winter der Wegnahme von Zelten und anderen Schutzeinrichtungen auch humanitäre Gründe entgegenstehen.

In Friedrichshain-Kreuzberg wie auch in anderen Bezirken – vornehmlich in der Innenstadt – gibt es inzwischen viele Orte, an denen sich Obdachlose nicht mehr einfach aufhalten, sondern quasi häuslich einrichten und zum Schutz vor Witterung etc. Zelte und Ähnliches nutzen. Teilweise sind kleine Zeltlager entstanden. Diesbezüglich ist aus meiner Sicht konzeptionell, interdisziplinär und bezirksübergreifend zusammen mit dem Berliner Senat zu reagieren.

Die Beseitigung von Obdachlosigkeit gelingt jedenfalls nicht – wie von vielen Beschwerdeführern erwartet – durch Eingreifen des Ordnungsamtes. In Reaktionen auf diesbezügliche Beschwerden weisen wir auch auf die Ursachen des aktuellen Umfangs der Obdachlosigkeit hin, so etwa auf gestiegene Mieten und den damit verbundenen Wohnungsverlust und werben damit quasi um Verständnis und Akzeptanz bei den Beschwerdeführern für die Situation obdachloser Menschen.

Nicht zuletzt scheint es häufig auch zugewanderten Personen nicht zu gelingen, Unterkunft oder Arbeit zu finden oder hilfsweise die Aufnahme in die Sozialsysteme zu finden, so dass sich auch dies im öffentlichen Raum bemerkbar macht. Es kann jedoch von mir und vom Allgemeinen Ordnungsdienst des Ordnungsamtes auch nicht erwartet werden, dass jeder denkbare Zustand dauerhaft geduldet und in keinem Einzelfall eingeschritten wird. Am besten sollte dies jedoch im Rahmen einer Gesamtstrategie geschehen, in welchem
die Handlungsmöglichkeiten des Hilfesystems im Vordergrund stehen.

Mit freundlichen Grüßen
Andy Hehmke

 

Friedrichshain-Kreuzberg, den 05.04.2017
Bündnis 90/Die Grünen
Fragesteller*in: Claudia Schulte

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