Foto: Claudia Schulte

Der Wind in Europa ist rau geworden. War man nationalistische Töne aus Ungarn und österreichische Abschottungspolitik schon gewohnt, zeigt sich nun Italien seit dem Antritt von Innenminister Matteo Salvini von der fremdenfeindlichen Lega fest entschlossen, die Flüchtlingsroute über das Mittelmeer zu schließen. Mit in diesem Reigen tanzt dann auch die CSU inklusive politischem Framing und Seehofer’schem “Geheimpapier”. Inzwischen kam die private Seenotrettung durch das Festsetzen der Rettungsschiffe praktisch zum Erliegen. Laut Internationaler Organisation für Migration (IOM) kamen bis heute mehr als 1.400 Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ums Leben, über 600 allein im Juni. Eine große Anzahl Menschen aber unterstützt diese fatale Abschottungspolitik nicht.

Das Bündnis „Seebrücke“ hat sich in einem Zeitraum von nur zwei Wochen von einer überschaubaren Anzahl engagierter Aktivist*innen zu einer europaweiten Bewegung für sichere Fluchtwege nach Europa und eine Entkriminalisierung der Seenotrettung entwickelt. Wir haben – beeindruckt von dieser Aktion – einer der Sprecher*innen des Bündnisses, Mareike Geiling, einige Fragen gestellt:

Stachel: Wer hat die Aktion „Seebrücke“initiiert?

MG: Verschiedene Aktivist*innen, die seit Jahren ehren- und hauptamtlich in der Geflüchtetenhilfe arbeiten. Schnell wuchs daraus eine Bewegung, der sich deutschlandweit viele Menschen angeschlossen haben.

Stachel: Was gab den Anlass zu eurer Aktion?

MG: Die Situation, als die „Lifeline“ mit 234 Menschen an Bord tagelang auf hoher See ausharren musste und in keinem europäischen Hafen anlegen konnte. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits mehrere Städte und Länder angeboten, die Menschen von der „Lifeline“ aufzunehmen. Wir wollten damals ein Zeichen setzen, das aber noch viel weiter gehen sollte und entschieden uns für die Gründung einer Bewegung.

Stachel: Was sind die Forderungen und Ziele der „Seebrücke“?

MG: Wir fordern von der deutschen und europäischen Politik sichere Fluchtwege, eine Entkriminalisierung der Seenotrettung und eine menschenwürdige Aufnahme der Menschen, die fliehen mussten oder noch auf der Flucht sind. Wir wollen nicht weniger Rettung, sondern viel, viel mehr!

Stachel: Wie viele Menschen haben sich in welchen Städten und mit welchen Veranstaltungen bisher beteiligt?

MG: Knapp 60.000 Menschen sind bis heute (Stand 31.7.) im Namen der SEEBRÜCKE in über 50 Städten auf die Straßen gegangen.

Stachel: Hat euch die Resonanz überrascht?

MG: Auf der einen Seite ja, auf der anderen nicht. Wieviel Empörung, Wut und Kraft hinter der derzeitigen Situation steckt, hat allein schon gezeigt, wie schnell wir es schafften, alles aufzubauen: Die Entscheidung für eine Bewegung sowie die konkrete Umsetzung also das Bestimmen der Bewegungsfarbe, Logo, Claim, Website, Social-Media-Kanäle ist innerhalb von 48 Stunden geschehen. Für die erste große Berliner Demo hatten wir 700 Teilnehmende angemeldet und waren überwältigt, als dem Aufruf dann 12.000 Menschen gefolgt sind. Und für die Mobilisierung hatten wir auch nur eine Woche Zeit! Und dann ging alles so unfassbar schnell und seitdem melden sich quasi täglich Menschen, die in ihren Städten Aktionen, Demos, Flashmobs organisieren. Es ist eine unglaubliche Energie dahinter.

Stachel: Steht ihr in Kontakt mit den privaten Seenotrettungsorganisationen? Welches Feedback habt ihr von denen erhalten?

MG: Ja, wir stehen in engem Kontakt mit den Organisationen und freuen uns sehr, wie positiv und hilfreich sie die Bewegung empfinden. Für die Organisationen macht die SEEBRÜCKE den breiten Rückhalt in der Gesellschaft sichtbar, der oft im rechten Diskurs untergeht.

Stachel: Kann jede*r sich dem „Netzwerk Seebrücke“anschließen und wie geht das?

MG: Na klar! :) Es gibt viele Möglichkeiten, aktiv zu werden: Am niedrigschwelligsten ist es, Orange, die Farbe der Rettungswesten, zu tragen – ob als Kleidungsstück, Fahne aus dem Fenster oder Tuch am Halsband des Hundes ist egal. Des Weiteren kann jede*r eine Aktion selbst starten und hier sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt: Flashmob, Demo, Kunst-Aktion – alles was auf das Thema aufmerksam macht, ist erlaubt. Außerdem erklären sich viele Städte gerade als Solidarische Städte. Man kann also auch den*die Bürgermeister*in ansprechen und fordern, Geflüchtete aufzunehmen.

Stachel: Wann wäre für euch der Zeitpunkt, zu sagen: Ziel erreicht. Aktion Seebrücke war erfolgreich?

MG: Dann, wenn private Seenotrettung gar nicht mehr nötig ist und es sichere Fluchtwege gibt. Bis dahin werden wir weitermachen!

Die Fragen stellte Claudia Schulte, Bezirksverordnete Bündnis 90/Die Grünen, Friedrichshain-Kreuzberg

 

Aus dem Stachel August 2018