Der Senat hat beim Thema Beteiligung versagt. Es braucht einen Stadtvertrag Beteiligung, der gemeinsam mit Senat und Bürgerinnen und Bürgern erarbeitet werden muss.

Berlin ist eine Stadt voller Energie. Diese Energie bewegt viele Menschen sich für ihre Stadt oder ihr unmittelbares Wohnumfeld zu engagieren. Mit dieser Energie konnten die BürgerInnen auch ihre Forderung nach einer Freihaltung des Tempelhofer Felds durchsetzen – gegen den Willen des Senats. Sie setzen ein einmaliges Zeichen! Es gibt immer mehr zivilgesellschaftliches Engagement in unserer Stadt- sei es zur unsozialen Mietenpolitik, für eine ökologische IGA in Marzahn-Hellersdorf, oder gegen den Ausbau der A 100. Diesen Einsatz zu würdigen und sinnvoll in Beteiligungsformate einzubeziehen, hat der Senat bisher nicht umsetzen können. Im Gegenteil:

Die Verhandlungen für eine Verfassungsänderung hin zu mehr direkter Demokratie wurden von der Koalition abgelehnt. Die bisherige und angekündigte Beteiligung zur Olympia-Bewerbung bleiben eine Farce. Das beste Beispiel für den mangelnden Willen des neuen Regierenden Bürgermeisters Michael Müller auf mehr Beteiligung zu setzen sind die Bebauungspläne für die Buckower Felder in Neukölln. Obwohl dort derzeit Stimmen für ein Bürgerbegehren gesammelt werden, geht der Senat einfach über den Bürgerwillen hinweg. Mit der Begründung, Wohnungsneubau zu fördern, wurde das Bebauungsverfahren dem Bezirk entzogen. Eine eindeutigere Positionierung gegen eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Bürgerwillen kann es nicht geben.

 

Unser Ziel ist: Berlin soll die Hauptstadt der Beteiligung werden! Es geht um eine Neudefinition des Verhältnisses zwischen Bürgerinnen und Bürgern und dem Staat. Dafür schlagen wir einen Stadtvertrag Beteiligung vor. Durch gemeinsam von Politik, Verwaltung und Bürger_innen erarbeitete Leitlinien für Partizipationsverfahren können wir Wege finden, wie wir unsere Demokratie durch Beteiligung stärken wollen.

 

Direkte Demokratie stärken!

Ein Ausbau der direkten Demokratie stärkt zum einen die unmittelbare Beteiligung der BürgerInnen, zum anderen schafft er auch neuen Raum für demokratisches Leben. Direktdemokratische Elemente können und sollen korrigierend bei wesentlichen Fragen die repräsentative Demokratie ergänzen, diese aber nicht ersetzen. Die Zeiten des Durchdrückens von oben sind nun endgültig vorbei. Wir Grüne kommen aus den Bürgerbewegungen und wir stehen für transparente Entscheidungen und den Dialog auf Augenhöhe mit den Berlinerinnen und Berlinern.

Dialog mit BürgerInnen

Der Volksentscheid über das Tempelhofer Feld hat gezeigt, dass die bisherige kooperative Demokratie in Berlin nicht gut funktioniert. Offensichtlich hält der Senat Beteiligung für eine unzulässige Konkurrenz zur repräsentativen Demokratie – sprich die gewählten Abgeordneten werden doch schon wissen, was das Volk will. Aber die BewohnerInnen vor Ort wissen viel besser, was sie brauchen oder sich wünschen. Ein Berliner Beteiligungskonzept kann das erste Beteiligungsprojekt werden, an dem alle gleichberechtigt mitarbeiten. Eine gute Bürgerbeteiligung ist nur durch eine angemessene Personalausstattung der Verwaltung in Senat und Bezirken zu erreichen und ist somit nicht umsonst zu haben. Gleichzeitig kann eine erfolgreiche Bürgerbeteiligung auch helfen, Kosten zu sparen: Ein Ergebnis des erfolgreichen Volksentscheids zum Tempelhofer Feld war schließlich, dass Millionen an Planungskosten umsonst ausgegeben worden waren. Dies hätte durch eine ernsthafte und transparente Bürgerbeteiligung verhindert werden können!

Der erste Schritt zu mehr Beteiligung ist Information

Darüber hinaus fordern wir ein Transparenz- und Informationsfreiheitsgesetz: Informationen müssen „von Amts wegen“ veröffentlicht werden.  Derzeit müssen die Bürger_innen zum Amt gehen, Anträge auf Akteneinsicht ausfüllen und im Zweifel sogar klagen. Das soll jetzt umgedreht werden. Dieser grundlegende Wechsel – weg von der Akteneinsicht, hin zur Veröffentlichungspflicht – ist in Hamburg zur gesetzlichen Pflicht erhoben worden. So kann Berlin aktiv informieren und allen BürgerInnen den Zugang zu Informationen erheblich erleichtern. Gleichzeitig sollte Berlin auch zentral über anstehende Vorhaben und deren Kosten informieren, und eine Vorhabenliste veröffentlichen.

Chance und Herausforderung zugleich

 

„Eine Stadt für Alle“ – hinter diesem grünen Motto steht die tiefe Überzeugung, dass die 3,5 Millionen Berlinerinnen und Berliner nicht nur sehr vielfältig sind, sondern dass genau diese Vielfalt eine Bereicherung für die Stadt ist. Sie kann auch eine Bereicherung für politische Entscheidungen werden. Denn auch Politiker_innen oder die Verwaltung wissen nicht immer alles besser! Und deshalb lohnt es sich, Politik gemeinsam mit der Stadt zu machen. Das ist nicht nur eine Frage von Respekt, sondern führt auch zu einer höheren Qualität der Entscheidungen. Und zu mehr gesellschaftlichem Frieden. Dennoch sind auch die Herausforderungen zu benennen:

Kann es gelingen, durch direktdemokratische Verfahren die Berliner Stadtgesellschaft in entscheidenden, stadtpolitischen Fragen stärker zu politisieren und politische Lösungen denk- und umsetzbar zu machen? Oder birgt der Weg der Stärkung der direkten Demokratie die Gefahr der noch leichteren Durchsetzung finanzkräftiger Lobby- und Partikularinteressen?

Die Verzahnung der Demokratieformen und die Stärkung der Beteiligungsinstrumente haben auch Grenzen und bergen Gefahren. Ihre Chancen sind aber enorm. Dieser Herausforderung sollte sich Berlin endlich stellen.

 

Antje Kapek, Mitglied des Abgeordnetenhauses, Fraktionsvorsitzende