Seit Jahren machen wir Grüne uns für eine andere Tourismuspolitik in der Stadt stark. Ende Februar kündigte die Grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop ein neues Konzept für einen stadtverträglichen und nachhaltigen Tourismus an – ein Umdenken in diesem Bereich ist längst überfällig.

Ein paar Wochen zuvor veröffentlichte Kopenhagen seine neue Tourismus- und Standortstrategie mit dem Titel „Das Ende des Tourismus wie wir ihn kennen“ („The End Of Tourism As We Know It“). Zwar sind beide Städte im Tourismusbereich nicht vergleichbar, dennoch liefert Kopenhagen mit seiner neuen Strategie einige interessante Ansatzpunkte, die durchaus auch für Berlin von Relevanz sind. Das trifft insbesondere auf die Feststellung zu, dass die Erwartungen der Besucher*innen sich wandeln und damit der Städtetourismus sein Profil entscheidend geändert hat. Städtische Räume und Ressourcen werden von Tourist*innen und Einheimischen zunehmend ähnlich genutzt. Die Grenzen zwischen touristischer und nicht-touristischer Aktivität verschwimmen immer mehr. Städtetourist*innen wollen in das Alltagsleben eintauchen, für einen temporären Zeitraum Teil der Nachbarschaft sein. Sie suchen das Authentische und nicht das perfekte Postkartenmotiv. Gerade in Berlin ist das seit Jahren zu beobachten. Neben den klassischen Tourist*innenattraktionen rücken immer mehr die Kieze in den Fokus. Längst ist der Tourismus dadurch zu einem raumprägendem Faktor und alltäglichem Phänomen in vielen Stadtteilen geworden.

Interessenskonflikte in der Stadt
Kombiniert mit einer veränderten innerstädtischen Nachfrage stellt das die Stadt vor neue Herausforderungen. Insbesondere im Nachtleben ziehen die Hotspots in Kreuzberg, Neukölln oder Friedrichshain immer mehr Berliner*innen aus der ganzen Stadt an, die sich mit den Tourist*innen mischen. Immer häufiger klagen Anwohner*innen über eine zunehmende Ballermannisierung. Dabei geht es nicht nur um klassische Verträglichkeitsprobleme, wie zunehmende Lärm- und Müllbelästigung. Auch die gewachsenen lokalen Strukturen verändern sich und mit ihnen die Lebenswelten der Kieze. Mietwohnungen werden als Ferienwohnungen zweckentfremdet, die oft bunt gemischte Einzelhandelsstruktur geht verloren. Das gewerbliche Angebot richtet sich zunehmend an die Bedürfnisse der wachsenden Besucher*innen und nicht mehr an die der Bewohner*innen. Das führt bereits seit Jahren zu einem zunehmenden Akzeptanzverlust bei der Bevölkerung in den stark beanspruchten Innenstadtbezirken. Eine Umfrage zeigt: etwa ein Drittel der Bewohner*innen fühlt sich durch Tourist*innen gestört.

Konzept für nachhaltigen Tourismus
Nachdem der Senat sich in den letzten Legislaturperioden vornehmlich den nächsten Besucherrekord vor Augen hatte, haben wir Grüne jetzt erreicht, dass die neue Landesregierung neue Schwerpunkte setzen wird. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass das Tourismuskonzept hinsichtlich eines langfristig stadtverträglichen und nachhaltigen Tourismus neu aufgestellt und mit einem zielorientierten Maßnahmenplan unterlegt wird. Dieser soll insbesondere die Vielfalt in den Kiezen erhalten und für einen Interessensausgleich zwischen den Anwohner*innen, Gewerbetreibenden und Besucher*innen sorgen. Besonders stark touristisch beanspruchte Bezirke sollen mehr unterstützt werden, insbesondere bei den Themen öffentlicher Raum und Infrastruktur. Ebenso stehen Fragen des Reisebusverkehrs sowie die von Grüner Seite seit Jahren geforderte Aufstellung eines Hotelentwicklungsplanes im Fokus.

Ein neues Konzept für einen stadtverträglichen und nachhaltigen Tourismus in Berlin muss diese Punkte vereinen. Herkömmliche touristische Steuerungsinstrumente – wie klassische Leitsysteme – funktionieren nur noch begrenzt. Umso wichtiger ist es, einen ressortübergreifenden Ansatz zu entwickeln, wie mit dem innerstädtischen Massentourismus umgegangen werden soll. Anstatt Tourist*innen dabei isoliert zu betrachten, sollten sie gemeinsam mit den Berliner*innen als Stadtnutzer*innen in den Blick genommen werden. Gemeinsam mit den Bezirken, den Bürger*innen, den Gewerbetreibenden und der Wissenschaft sollten in einem ersten Schritt zu erfüllende Ansprüche und Eckpfeiler erstellt werden, ein entsprechend breit aufgestellter Beirat die Erarbeitung eines neuen Konzeptes begleiten. Vor Beschlussfassung sollte eine breite Debatte in der Stadtgesellschaft erfolgen. Das kostet zwar Zeit, bietet aber auch die Chance, verlorene Akzeptanz wiederherzustellen.

Einem neuen Konzept müssen Sofortmaßnahmen vorangehen, die die drängendsten Probleme in den stark beanspruchten Bezirken anpacken. Dazu gehört z.B. mehr Geld für häufigere Straßenreinigungen – die nicht auf die Anwohner*innen umgelegt werden dürfen – oder mehr öffentliche und kostenfreie Toiletten. Aus einem Teil der Einnahmen aus der City-Tax könnte ein Aktionsfonds gebildet werden, auf den die Bezirke zurückgreifen können. Ebenso ist stadtentwicklungspolitische Steuerung immer neuer Hotels und Hostels ein Punkt, der zeitnah umgesetzt werden kann und dringend muss.

Julian Schwarze, Fraktionsvorsitzender BVV
Katrin Schmidberger, MdA und Sprecherin für Tourismus