Die Bebauung der “Urbanen Mitte” im Gleisdreieckpark ist ein umstrittenes Bauprojekt in Friedrichshain-Kreuzberg. Das Vorhaben sieht eine Bebauung von insgesamt sieben Hochhäusern auf zwei Baufeldern (Urbane Mitte Süd; Urbane Mitte Nord) mit Gebäudehöhen von 25, 43 und 90 Metern vor.

Das Projekt selbst geht auf eine Vereinbarung von 1994 zurück, als es in Berlin noch viele unbebaute Flächen gab. Seitdem hat sich viel verändert: Berlin und Friedrichshain-Kreuzberg sind viel dichter bebaut, Freiflächen sind rar und die sich verschärfende Klimakrise stellt neue Anforderungen an Bauprojekte.

Um einen besseren Überblick über die lange, komplexe Geschichte des Projekts zu bekommen, haben wir als bündnisgrüne Fraktion im Bezirksparlament (der BVV) hier die wichtigsten Entwicklungen zusammengetragen.

1992-2007 – Vereinbarung & Verträge

Zum Ausgleich der Bebauung am Potsdamer Platz und am Leipziger Platz mussten Anfang der 1990er ökologische Ausgleichsflächen gefunden werden. 1994 hat die Deutsche Bahn dazu dem Land Berlin einen Teil des – ungenutzten – Gleisdreieckgeländes verkauft. Dieses bildet den heutigen Gleisdreieck-Park. Um den Park nach einer Landesvorgabe „kostenneutral“ realisieren zu können, sollten im Gegenzug andere Teile der Fläche entwickelt und bebaut werden, die die Deutsche Bahn über eine Entwicklungsgesellschaft verkaufen durfte.

Nach langen Verhandlungen wurde 2005 ein städtebaulicher Rahmenvertrag zwischen dem Land Berlin, dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und der Vivico, eine Tochterfirma der Deutschen Bahn, abgeschlossen. In dem Vertrag wurden die Realisierung des Gleisdreieckparks, die Nutzungs- und Entwicklungsziele sowie die Baufelder, u.a. die Fläche, die heute als „Urbane Mitte“ bekannt ist, festgelegt. Zudem wurde ein Entschädigungsanspruch vereinbart, sollten die festgelegten Planungsziele nicht erreicht werden.

2006 wurde die Aufstellung des Bebauungsplans für das Gebiet Gleisdreieck beschlossen.

2007 wurde die Vivico an die börsennotierte Immobiliengesellschaft CA Immo aus Österreich verkauft.

2008-2018 – Gleisdreieckpark entsteht, Baugrundstück wird zur „Urbanen Mitte“

2011-2014 wurde in drei Schritten der heutige Gleisdreieckpark eröffnet.

2014 kaufte die COPRO-Gruppe das Grundstück „Urbane Mitte“ im Gleisdreieckpark, um es zu bebauen.

Ende 2014/Anfang 2015 fand ein öffentliches Werkstattverfahren statt. Im Anschluss wurde ein architektonischer städtebaulicher Wettbewerb durchgeführt. Beide Siegerentwürfe des Wettbewerbs sahen Hochhäuser vor, der Fokus lag auf Gewerbe- und Büronutzung.

Viele Anwohner*innen brachten sich damals in das Verfahren ein und gaben Stellungnahmen ab. Die Bezirksverordnetenversammlung wurde 2015 über die Aufstellung des Bebauungsplans informiert (hier: Durchführung Beteiligung der Öffentlichkeit sowie Behörden und Träger öffentlicher Belange). In der Folgezeit wurden zahlreiche Gutachten zu unterschiedlichen Aspekten der Planung, wie Lärm, Verkehr, Regenwassermanagement, Abstandsflächen oder Denkmalbelangen, erarbeitet.

2016 erfolgte die öffentliche Auslegung des Bebauungsplanentwurfs Urbane Mitte.

Der aktuelle Stand zum Bebauungsplanentwurf (DS/0472/V) wurde 2017 erneut in der BVV, im Ausschuss für Stadtentwicklung und Wohnen, behandelt und von allen Fraktionen zur Kenntnis genommen. Inhalte waren vor allem die Öffentlichkeitsbeteiligung sowie die Beteiligung der Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange nach dem Baugesetzbuch.

2018 wurde der Bebauungsplan in einen nördlichen und einen südlichen Teil aufgeteilt. Durch den nördlichen Teil soll zukünftig die neue S-Bahn-Linie S 21 fahren, für die sich die Planung der Gleisführung verzögert.

2020/21 – Bebauungsplan Urbane Mitte Süd

Ende 2020/Anfang 2021 erfolge die zweite Auslegung des Bebauungsplans, diesmal nur für den südlichen Teil.

Wieder beteiligten sich viele Bürger*innen, Anwohner*innen und Initiativen. Im Ausschuss für Stadtentwicklung und Wohnen der BVV gab es einen Austausch mit mehreren Initiativen zu ihrer Kritik am Bauvorhaben.

Kritikpunkte waren und sind unter anderem:

  • die geplante Baumasse (sowohl in der Höhe als auch in der Fläche),
  • die rein gewerbliche Nutzung (anstatt dringend benötigtem Wohnraum),
  • der negative Einfluss auf das Mikroklima des Parks durch Versiegelung, Verschattung, die Entstehung von Winden zwischen den Hochhäusern usw. sowie
  • der negative Einfluss auf das Stadtklima (Gleisdreieckpark als Frischluftschneise zwischen Innenstadt und südlichem Stadtrand).

Als BVV-Fraktion sahen wir das Projekt ebenfalls kritisch. Seit dem Abschluss des Rahmenvertrags im Jahr 2005 haben sich die Rahmenbedingungen in Berlin massiv verändert. Die Klimakrise führt zu Hitzesommern und Dürreperioden, denen durch Begrünung und Entsiegelung der Stadt sowie einem umfassenden Regenwassermanagement begegnet werden muss. Gleichzeitig nimmt die Wohnungsnot in Berlin zu und bedarf schneller Lösungen, die nicht im Bau von Büros liegen. Wir als bündnisgrüne BVV-Fraktion und die Friedrichshain-Kreuzberger Mitglieder der grünen Abgeordnetenhausfraktion drängten die SPD-geführte Senatsverwaltung daraufhin, das Projekt auf die geänderten Rahmenbedingungen hin nochmals zu überprüfen.

2021/22 – Die Senatsverwaltung überprüft das Projekt

Im Koalitionsvertrag hielten SPD, Grüne und Linke 2021 auf Landesebene fest, dass geprüft werden soll “ob und inwieweit der städtebauliche Vertrag zur Urbanen Mitte den aktuellen klimapolitischen Aufgaben und den Bedarfen vor Ort noch gerecht wird und eine Anpassung von Art und Maß der Bebauung ermöglicht wird.” Die Grünen positionierten sich in den Koalitionsverhandlungen entschieden gegen die Realisierung des Vorhabens in dieser Form, da es nicht mehr zeitgemäß ist.

Im Herbst 2022 wurde öffentlich, dass die Überprüfung des Projekts durch die Senatsverwaltung bereits im April abgeschlossen worden sei und Senator Andreas Geisel und Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt am Projekt und am Rahmenvertrag von 2005 festhielten (Tagesspiegel-Artikel vom 30.10.2022). Außerdem wurde erst jetzt bekannt, dass das Grundstück schon 2020 im Rahmen eines sogenannten „Share Deals“ nach Luxemburg verkauft worden war. Es fanden verschiedene Treffen und Gespräche zwischen der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck e.V. und uns als BVV-Fraktion sowie den zuständigen bündnisgrünen Abgeordneten aus Friedrichshain-Kreuzberg statt. Gleichzeitig schritt die Aufstellung des Bebauungsplans voran, die Beteiligungsverfahren fanden erneut statt.

Ende Dezember veröffentlichte Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel den Prüfbericht¹ des Senats zur Urbanen Mitte (Pressemitteilung vom 27.12.2022). Der Bericht entsprach nicht der von uns geforderten intensiven Prüfung und Neubewertung. Die Frage, ob das Vorhaben klimapolitisch noch haltbar sei, wurde z.B. auf einer einzigen Seite abgehandelt. Senator Geisel teilte in der Pressemitteilung mit, dass der Senat am Rahmenvertrag von 2005 festhalte, keinen Widerspruch zu aktuellen klimatischen Herausforderungen sehe und eine gewerbliche Nutzung befürworte. Zudem machte er deutlich, dass der Bezirk mögliche Entschädigung des Investors in dreistelliger Millionenhöhe selbst tragen müsste, sollte es zu Veränderungen kommen oder keine Baugenehmigung erteilt werden; der Senat würde hier nicht einspringen. Der Bezirk selbst kann Kosten in dieser Höhe jedoch nicht tragen.

Als bündnisgrüne BVV-Fraktion Friedrichshain-Kreuzberg kritisierten wir die Überprüfung des Senats, denn sie nahm ökologische und städtebauliche Aspekte nicht ernsthaft in den Blick, sondern diente nur als „Feigenblatt für die Stadtentwicklungspolitik der ‘Quantität statt Qualität‘ des Bausenators“ (PM vom 10.01.2023).

Als Antwort auf all diese Entwicklungen brachten wir als bündnisgrüne BVV-Fraktion im Dezember 2022 zwei Anträge zur Urbanen Mitte ein. Ein Antrag (DS/0528/VI) forderte das Bezirksamt auf, bei der der Senatsverwaltung eine echte, umfangreiche, transparente und belastbare Prüfung mittels Gutachten von Expert*innen einzufordern, ob das Bauvorhaben den heutigen Kriterien eines sozial-ökologischen Vorhabens entspricht. Sollte das nicht der Fall sein, sollte das Bezirksamt die Bebauung möglichst einschränken oder in der geplanten Form verhindern. Unser zweiter Antrag (DS/0527/VI) forderte einen Runden Tisch zur Urbanen Mitte mit allen beteiligten Akteur*innen sowie ein verbindliches Einfließen der Ergebnisse in die weitere Planung.

2023 – Runder Tisch & Abwägung zum Bebauungsplan

Im August 2023 brachte unser Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Florian Schmidt, eine 1900 Seiten lange Vorlage zur Kenntnisnahme (DS/0826/VI) über die Auswertung der eingegangenen Stellungnahmen aus der erneuten Beteiligung, die Abwägung dieser Stellungnahmen und die daraufhin erfolgten Änderungen zum Bebauungsplan “Urbane Mitte Süd” in die BVV ein. Die Vorlage wurde in verschiedenen Ausschüssen überwiesen und dort demnächst beraten.

Ein durch die Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck e.V. und die Naturfreunde Berlin e.V. in Auftrag gegebenes Gutachten kam im August zu dem Ergebnis, dass der städtebauliche Rahmenvertrag von 2005 keine Entschädigungsansprüche des Investors gegenüber dem Land oder dem Bezirk begründet, sollte das 2005 festgelegte Bauvolumen nicht genehmigt werden. Auf Antrag von Grünen, Linke und SPD (DS/0839/VI) veranlasste das Bezirksamt eine externe rechtliche Prüfung des Gutachtens.

Im September fand der Runde Tische Urbane Mitte statt, bei dem unter anderem Vertreter*innen der Senatsverwaltung, des Bezirksamts, der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck e.V., der Vorhabenträgerin Urbane Mitte und Mitglieder unserer BVV-Fraktion sowie der Fraktion der LINKEN teilnahmen. Das Protokoll des Runden Tischs ist hier zu lesen.

Im November fand eine erste Nachbesprechung des Runden Tisches im Stadtentwicklungsausschuss statt.

Entwicklungen nach Vorlage der Gutachten

Seit Ende Dezember liegt die externe rechtliche Einschätzung zur Wirksamkeit des Rahmenvertrags von 2005 vor. Nach Auswertung durch das Bezirksamt wurde sie Ende Januar veröffentlicht (Pressemitteilung des BA vom 30.01.2024).  Das externe Rechtsgutachten kommt zu dem Schluss, dass der Entschädigungsmechanismus aus dem Rahmenvertrag von 2005 unwirksam ist. Das bedeutet, dass der Bezirk, sollte er von der im Rahmenvertrag festgelegten Art und dem Maß der Bebauung abweichen, keine Entschädigung an den Investor zahlen muss. Damit ist das Gutachten ein Meilenstein in der Geschichte der Urbanen Mitte (unsere Pressemitteilung dazu findet ihr hier).

Gemeinsam mit LINKE und SPD haben wir noch am 31.01. einen Dringlichkeitsantrag in die BVV eingebracht, um das weitere Vorgehen festzuhalten.

Der Antrag fordert, das Vorhaben auf städtebauliche Kriterien (z.B. bezahlbares Wohnen, soziale Infrastruktur, Grünflächenerhalt) und klimapolitische Notwendigkeiten hin ergebnisoffen zu prüfen und anzupassen. Dabei werden wir natürlich Expert*innen und die bisher beteiligten zivilgesellschaftlichen Akteur*innen einbeziehen, z.B. über einen zweiten Runden Tisch, Werkstattgespräche oder Anhörungen im Fachausschuss.

Am 07.03.2024 beschloss der Stadtentwicklungsausschuss die Einrichtung einer Steuerungungsgruppe zur Umsetzung der DS/1047/VI. Aufgabe der Steuerungsgruppe ist die Organisation einer Planungswerkstatt, bei der über mögliche Anpassungen für das Vorhaben (Bebauungsplan VI-140cab „Urbane Mitte Süd“) diskutiert wird. Die Steuerungsgruppe verständigt sich darüber, welche Expert*innen, Initiativen etc. zur Veranstaltung eingeladen werden, wer diese moderiert und wie die Veranstaltung ablaufen soll. Die Ergebnisse der Veranstaltung werden in einem Ergebnispapier festgehalten, das Grundlage für einen BVV-Beschluss zur Anpassung des vorliegenden Bebauungsplans wird. Mitglieder der Steuerungsgruppe sind Vertreter*innen der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke, SPD und CDU sowie Vertreter*innen der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck e.V.

Aktuelle Entwicklungen

Am 03.06.2024 verkündete die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen in einer Pressemitteilung, die Planungshoheit zur „Urbanen Mitte Süd“ an sich ziehen. Dabei ignoriert der Senat die Rechtsgutachten, die bestätigt haben, dass städtebauliche Änderungen der Planungen ohne Entschädigung möglich sind und die BVV einen Gestaltungsspielraum bei dem umstrittenen Bauvorhaben hat. In einem Statement haben wir Stellung bezogen und zeigen auf, dass die Bemühungen der BVV, die Pläne an die aktuellen, realen Bedürfnisse des Bezirks und klimapolitische Bedingungen anzupassen sowie die Einbindung der Bürger*innen zu gewährleisten, durch das Vorgehen des Senats zunichtegemacht werden. Die Planungshoheit muss beim Bezirk bleiben, denn die bezirkliche Perspektive bietet den klarsten Blick, was in der Urbanen Mitte notwendig ist. 

 


¹ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen: Überprüfung des Städtebaulichen Rahmenvertrags Gleisdreieck aus dem Jahre 2005 – Urbane Mitte, 28.11.2022.  https://www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/planung/download/20221128_pruefbericht_urbane_mitte.pdf [dort zwischenzeitlich nicht mehr abrufbar].

 

Zuletzt aktualisiert: 31.01.2024