208 Menschen sind seit 1990 in Deutschland von Rechtsextremist*innen getötet worden, 13 der Opfer waren aus Berlin. Die menschenverachtende rechte Ideologie bedroht unsere Demokratie und kostet Menschenleben.
Immer wiederkehrend sehen wir, wie die Gewaltbereitschaft und Radikalisierung der rechten Szene den Worten Taten folgen lässt. Die Reaktionen der Sicherheitsbehörden bleiben unzureichend, stattdessen häufen sich Ermittlungspannen, zwielichtige Verbindungen in die rechte Szene werden bekannt, rechte Chats bei der Polizei und sogar bei Polizeischüler*innen geben allen Grund zu zweifeln.
Die vielfältige, offene Gesellschaft steht zunehmend unter Druck. Sei es durch die AfD, Coronaleugner*innen oder durch gewaltbereite Rechtsextremist*innen. Es ist höchste Zeit, diesem Angriff auf unsere Demokratie eine andere Innenpolitik entgegensetzen. Grüne Innenpolitik ist für mich Gesellschaftspolitik, Zusammenhalt und Solidarität statt Law and Order die Devise. Wir dürfen dieses Feld nicht den Giffeys, Wegners und Wendts überlassen.
Gerade als Verwaltungswissenschaftler bin ich der festen Auffassung, dass Demokratie und Rechtsstaat sich nur beweisen, wenn sie in den Strukturen gelebt werden. Bisher lautet das Mantra nach jedem Vorfall: Mehr! Mehr Aufrüstung, mehr Polizei, mehr Kompetenzen. Strukturelle Fragen gehen im Getöse der Hardliner, die die Gunst der Stunde nutzen wollen, meist unter. Es braucht eine Kehrtwende, denn öffentliche Sicherheit schaffen wir nicht durch immer mehr Aufrüstung, sondern durch soziale Infrastruktur, Präventions- und Hilfsangebote und eine Polizei, die da ist, wenn man sie wirklich braucht – und zwar für alle.
Das gelingt nur durch Veränderung in den Strukturen, endlich schafft R2G in Berlin daher eine*n unabhängige*n Polizeibeauftragte*n. Aber das kann nur ein erster Schritt für den notwendigen strukturellen Wandel sein. Dieser ist nicht gleichzusetzen – wie so oft fälschlicherweise verlautbart – mit einem vermeintlichen „Generalverdacht“ gegen die Sicherheitsbehörden. Es geht vielmehr darum, Vertrauen in die Behörden wiederherzustellen, Nachvollziehbarkeit und Transparenz gegenüber dem Parlament aber auch gegenüber der Öffentlichkeit herzustellen. Vertrauen gewinnt man, indem man aus Fehlern lernt, nicht indem man sie unter den Teppich kehrt. Das gilt gerade für die Sicherheitsbehörden als sichtbaren Arm des Gewaltmonopols. Deshalb braucht es in der kommenden Legislaturperiode eine Berliner Polizeistudie, eine Enquetekommission zu rechten und rassistischen Strukturen in den Sicherheitsbehörden und endlich die Reform des Landesamts für Verfassungsschutz. Letzteres wurde zwar wiederholt gefordert, faktisch passiert ist nichts. Dabei gebe es allen Grund. Vom Breitscheidplatz über Neukölln bis hin zu Datenleaks ins rechte Milieu, seinen Aufgaben ist der Verfassungsschutz nicht gerecht worden. Da ist die Frage berechtigt, ob das für die Verfassung noch Schutz oder eher eine Gefahr darstellt.
Was mittlerweile allen klar sein sollte: bei all dem sichtbaren Versagen reicht es nicht aus, nur überrascht zu sein. Nicht nur die Probleme, genauso die Lösungen liegen auf dem Tisch. Aber eben nicht durch die plumpe Forderung nach „mehr“ davon, sondern durch strukturellen und gesellschaftlichen Wandel. Eine wehrhafte Demokratie bedeutet, dem Druck von rechts nicht nachzugeben, sondern sich konsequent entgegenstellen. 1992 wurde Silvio Meier in Friedrichshain von Nazis ermordet, weil er sich ihnen und ihrer Ideologie entgegengestellt hatte, seit 2016 vergibt der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg einen Preis für das Engagement gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung. Nur ein kleiner Baustein, als Antwort des gesellschaftlichen Zusammenhalts – für ein Berlin, in dem sich jede*r sicher fühlen und frei und selbstbestimmt entfalten kann.
Vasili Franco, Mitglied im Geschäftsführenden Ausschuss der Grünen Xhain
Dieser Artikel stammt aus dem aktuellen Stachel, der bündnisgrünen Parteizeitung in Xhain.