DS/1297/IV Mündliche Anfrage

Ich frage das Bezirksamt:

1. Was steht in dem Schreiben des Landesamt für Gesundheit und Soziales zur Zukunft der
ehemaligen Oranienplatz-Bewohner*innen, das am letzten Freitag an alle Bezirksbürgermeister*
innen geschickt wurde?

2. Sieht das Bezirksamt darin einen Bruch der Vereinbarung des Senats mit den Flüchtlingen?

3. Gibt es seitens des Senats bzw. der betroffenen Bezirke einen Plan, wo die Menschen
wohnen sollen?

Beantwortung: Herr Mildner-Spindler

zu Frage 1:
Am Freitag, den 22. August 2014 nach 14:00 Uhr erreichte alle Bezirksbürgermeisterinnen
und Bezirksbürgermeister, alle Sozialstadträtinnen und alle Sozialstadträte Berlins eine EMail des Landesamtes für Gesundheit und Soziales, der ein Brief beigefügt war, den das Landesamt für Gesundheit und Soziales an die vier Bezirksbürgermeisterinnen und Bezirksbürgermeister der Bezirke geschickt hat, in denen Flüchtlingseinrichtungen sind, in denen Flüchtlinge, die unter die O-Platz-Vereinbarung fallen, untergebracht sind – nachrichtlich an alle anderen Bezirksbürgermeisterinnen und Bezirksbürgermeister.

Und da Sie danach fragen, was drin stand und diese Mitteilung nicht unter dem Siegel der Vertraulichkeit verschickt wurde, erlaube ich mir daraus zu zitieren und vorzulesen:
„… Ich möchte Sie heute davon in Kenntnis setzen, dass für einen Teil des entsprechenden Personenkreises die aufenthaltsrechtliche Prüfung abgeschlossen ist, die Barauszahlung der freiwilligen Leistung ist für diesen Personenkreis bis einschließlich
31. August 2014 erfolgt. Die freiwilligen Leistungen und Bereitstellung von Unterbringungsplätzen werden mit Ablauf des 25. August eingestellt. Aufgrund der z.Z. extrem hohen Zugangszahlen asylsuchender Flüchtlinge in Berlin, wird die Unterbringungsleitstelle die freien Unterkunftsplätze im Verlauf des 26. August 2014 wieder neu belegen. Die Einrichtungen und auch die zuständigen Polizeidienststellen sind informiert, welche Personen konkret vom Auszug betroffen sind. Das LAGeSo führt weiterhin mittwochs die aufenthaltsrechtlichen Prüfungen für die Teilnehmer an der Oranienplatz-Vereinbarung durch, so dass damit zu rechnen ist, dass im Laufe der nächsten Wochen weitere Auszüge aus den Einrichtungen erfolgen werden“.

zu Frage 2:
Ich würde alleine schon mal auf den letzten Satz vorgetragen verweisen. Sinn und
Zweck der aufenthaltsrechtlichen Prüfungen scheint der Auszug aus Einrichtungen der Unterbringung zu sein. Das Bezirksamt sieht in der Vorgehensweise der Senatsverwaltung Soziales und der nachgeordneten Einrichtung Landesamt für Gesundheit und Soziales im Nachhinein scheinbar bestätigt, was kritische Stimmen schon im Frühjahr behauptet hatten, nämlich, dass die Vereinbarung, die der Senat mit den Flüchtlingen getroffen hat, lediglich ein Trick war oder – wie manche sagten – eine Räumungs- und Abschiebungsvereinbarung.

Für das Bezirksamt ist diese Vorgehensweise einfach skandalös. Während der Senat sich noch am 15. Juli darüber verständigte, dass das Land weiterhin die freiwilligen Leistungen zahlen wird, bis über die Umverteilungsbegehren der Flüchtlinge entschieden ist, wurden wir jetzt drei Tage vor Vollzug darüber informiert, dass für die ersten 100 Flüchtlinge jetzt ein Schlussstrich gezogen wird, ohne dass wir beurteilen können, was der Entscheidung zu Grunde liegt, dass die aufenthaltsrechtliche Prüfung abgeschlossen ist. Wir gehen davon aus, dass entgegen den Zusagen von Wowereit und auch Senatorin Kolat zu keinem Zeitpunkt eine faire, wohlwollende Prüfung der einzelnen Fälle durch die Ausländerbehörde stattgefunden hat.

Aus Anträgen auf einstweilige Anordnungen vom gestrigen Tag gegen das LAGeSo und auch unseren Bezirk wissen wir, dass von der Entscheidung auch Menschen betroffen sind, deren aufenthaltsrechtliche Prüfung bisher allein aus einer Aufnahme ihrer Personalien bestand. Auch wissen wir von Fällen, wo die Beraterteams von Diakonie und Caritas um einen Aufschub gebeten haben, um Akten ergänzen zu können, was jetzt, da Flüchtlinge schon davon betroffen sind, abrupt beendet wird.

Wir müssen einschätzen, dass Innensenator Henkel entgegen der Position von Senatorin Kolat bisher nichts  unternommen hat, um Asylverfahren der Flüchtlinge aus anderen Bundesländern nach Berlin zu transferieren. Es wurde ausschließlich nach Aktenlage entschieden. Mit dem gewählten Verfahren der Beendigung von Leistungen wurden gestern hilflose Flüchtlinge obdachlos gemacht oder deren Obdachlosigkeit
zumindest billigend in Kauf genommen. Die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales wie auch die Senatsinnenverwaltung haben mit dem gewählten Weg die Beteiligten nicht in einem angemessenen Zeitraum zu informieren.

Frau Kolat soll nach Zeitungsberichten ja nicht einbezogen gewesen sein, den Heimbetreibern der Einrichtungen in Spandau, Marienfelde und Friedrichshain die Aufgabe übergeholfen, den Flüchtlingen die Entscheidung zu überbringen und diese zu bewegen, das Haus jeweils freiwillig, friedlich zu verlassen. Für den Fall, dass die Betroffenen der Bitte nicht nachkommen, seien die Hausleitungen gezwungen, die Polizei zu rufen. Das entnimmt man auch dem Brief, wie ich ihn vorgelesen habe.

Als erstes wurden die zuständigen Polizeidienststellen informiert, d.h., Ausländerpolitik wird mit Hilfe der Polizei gemacht… Das Vertrauen in die Politik und die im April erzielte Vereinbarung wurde in den letzten Monaten schon schwer belastet. In den letzten Monaten wurde der Senat immer wieder aufgefordert, ernsthaft an der Umsetzung der Vereinbarung zu arbeiten, die Flüchtlinge nicht hinzuhalten. Am Montag und mit den gestrigen Räumungen dürfte es mit der Ablehnung und dem Rauswurf endgültig mit Vertrauen in die Politik für die betroffenen Flüchtlinge vorbei sein.

zu Frage 3:
Angesichts des unter 1. Vorgetragenen oder zitierten und des unter 2. Vorgetragenen
kann ich hier nur subsummieren: Das Bezirksamt kann keinen anderen Plan des Landes erkennen, der eine anderweitige Unterbringung der Menschen auch nur in Betracht gezogen hätte. Es gibt nach unserer bisherigen Einschätzung bei der Senatsverwaltung für Soziales keine andere Vorstellung, als dass die Flüchtlinge unmittelbar nach dem Auszug die Rückreise in die zuständigen Bundesländer antreten, in den sie ihre Asylanträge gestellt haben.

Nach geltendem Ausländerrecht müssen die Flüchtlinge Berlin verlassen und dorthin zurückkehren, wo entweder ein Asylverfahren in ihrer Sache anhängig ist oder nach einem abgeschlossenen Verfahren ein Abschiebeantrag gegen sie vorliegt. Das einzige Angebot, was das Land gestern hatte, war eine Wegweisung zur zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in der Turmstraße durch eine Sozialarbeiterin des Landesamts für Gesundheit und Soziales, die vor Ort war zum Zweck des Erhalts einer finanziellen Rückreisehilfe.

Frau Gärtner:
Ist dem Bezirksamt bekannt, dass sich auch ein TBC-kranker Mensch unter den
Leuten befindet, die auf die Straße gesetzt wurden und … ja, empfindet das Bezirksamt keinen Widerspruch dazu, dass einerseits dieser Mensch durch LAGeSo versichert ist und verpflichtet ist, anderthalb Jahre lang sich hier im Land therapieren zu lassen und ihm dann halt Unterkunft und Bett entzogen werden von derselben Behörde?

zu Nachfrage 1 und 2:
Sehr geehrte Frau Gärtner, das ist dem Bezirksamt so konkret gefragt, nicht bekannt. Es gibt eine Liste derjenigen, für die die Leistungen eingestellt werden. Die Liste ist noch mal aufgeteilt worden auf die einzelnen Heime. Die Liste hat unsere Verwaltung erhalten,
weil wir in Amtshilfe für die Senatsverwaltung für Soziales, für das LAGeSo ja die  freiwilligen Leistungen, Barauszahlungen allmonatlich zum Monatsanfang vornehmen und vor den Bezirksbürgermeister*innen und unter dem Siegel der Verschwiegenheit ist Freitagvormittag unserer Verwaltung eine solche Liste zugeschickt worden, damit die Auszahlungen für September vorbereitet werden können.

Das heißt also, die Auszahlungslisten bereinigt werden um diejenigen, die nach
Einschätzung des Landesamts für Gesundheit und Soziales keinen Leistungsanspruch mehr haben. Aus dieser Liste geht für uns als Bezirk, das habe ich ja ein Stück versucht in der zweiten Antwort darzustellen, nicht hervor, wie konkret für welche Person aus welchen Gründen entschieden wurde und welche individuelle persönliche Situation sich hinter den Namen verbürgt, die auf der Liste sind. Das können wir nicht einschätzen.

Ich denke, das Beste wird sein, da wir davon noch nicht wussten, in Ihrer zweiten Frage oder in der verbundenen zweiten Frage haben Sie auf die besondere Situation aufmerksam gemacht. Sie sollten mir das noch mal geben, damit wir das mit dem LaGeSo noch mal klären können, weil in der Tat, wenn eine solche gesundheitliche Situation und damit auch eine Gefährdung vorliegt, es muss der Person geholfen werden und im Sinne von Infektionsschutz muss ja auch gehandelt werden.

Frau Wisniowska:
Sieht sich das Bezirksamt in dieser Situation weiter an den Teil von der Abmachung
für Senat und Bezirk, was den Bezirk angeht, gebunden, z. B. also nicht mehr freihalten,
also nicht besetzen von Oranienplatz?

zu Nachfrage 3:
Das Bezirksamt war sich auch in der gestrigen Bezirksamtssitzung einig, dass
wir entsprechend der Einigung vom 02. Juli unserer übernommenen Verpflichtung zur Zahlung freiwilliger Leistungen für diejenigen, die in der Schule verblieben sind, weiterhin nachkommen werden unter der Voraussetzung, dass aufenthaltsrechtliche Prüfungen stattfinden. Wir werden uns an die Vereinbarung halten und das Bezirksamt ist sich auch einig darin, dass der von nicht allen mitgetragen …, im Bezirksamt einhellig, aber ansonsten nicht von allen mitgetragene Beschluss vom April im Hinblick auf die Wiederbesetzung Bestand hat.

Friedrichshain-Kreuzberg, den 27.08.2014
Bündnis 90/Die Grünen
Fragestellerin: Paula Riester

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