eingereicht von Jutta Schmidt-Stanojevic, Bündnis 90/Die Grünen
Antwort von:
Abt. Arbeit, Bürgerdienste, Gesundheit und Soziales
Ihre schriftliche Anfrage beantworte ich wie folgt:
1. Inwieweit gibt es einen Psychiatrieentwicklungsplan für den Bezirk?
Der Psychiatrieentwicklungsplan bzw. das Psychiatrieentwicklungsprogramm ist eine der Aufgaben/Instrumente auf Senats-/Landesebene. Dieser wird als Grundlage für u. a. die Höhe der Mittelzuweisungen an die Bezirke genutzt. Darüber hinaus werden anhand des Psychiatrieentwicklungsplans fachliche und inhaltliche Vorgaben auf Berliner Ebene diskutiert. Einen bezirklichen Psychiatrieentwicklungsplan gibt es nicht.
Die Themen, die auf bezirklicher Ebene verhandelt werden, ergeben sich aus dem Austausch und den Diskussionen in den unterschiedlichen Gremien und Arbeitsgruppen im Bezirk (z. B. aus dem Beirat für seelische Gesundheit oder den unterschiedlichen Unterarbeitsgruppen der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft (PSAG) im Bezirk wie z. B. die Arbeitsgruppe „Psychisch kranke Menschen“, Arbeitsgruppe „Arbeit“, Arbeitsgruppe „Sucht“ usw.) Darüber hinaus werden neue Bedarfe festgestellt, z. B. im Rahmen der Steuerungsgremien Psychiatrie (SGP). Dort werden neue Diskussionen oder Projektgruppen initiiert u. a. „Schwer vermittelbare Menschen mit einer psychiatrischen Erkrankung (inklusive Suchterkrankungen)“ und die Projektgruppe „Angebotsweiterentwicklung im Bezirk“. Die Schwerpunkte werden daher in diesem Rahmen festgelegt und entwickeln sich aus den veränderten Notwendigkeiten im Rahmen der Pflichtversorgung im Bezirk.
2. Wie viele Menschen werden in stationären Einrichtungen des Bezirks betreut und welche sind das?
Lediglich das Übergangswohnheim, eine stationäre Einrichtung (1*) mit insg. 32 Plätzen, befindet sich im Bezirk, Ortsteil Kreuzberg. Somit sind im Bezirk maximal 32 Menschen stationär betreut.
(1) Im Rahmen der Eingliederungshilfe SGB IX für erwachsene Menschen sind stationäre Einrichtungen lediglich die
Heime.
3. Wie viele Kinder und Jugendliche werden stationär betreut?
Antwort über das Jugendamt:
2020 betrug die Anzahl der jungen Menschen in
- stationären HzE (Hilfen zur Erziehung) 733
- stationären EH (Eingliederungshilfen) 65
Somit waren insgesamt 798 junge Menschen stationär (2) betreut.
(2) Im Rahmen der Jugendhilfe SGB VIII gelten als stationäre Angebote, in Unterschied zu den Eingliederungshilfen für erwachsene Menschen, alle Angebote mit Träger Wohnraum, z. B. betreutes Einzelwohnen, Therapeutische Wohngemeinschaften, Heime, usw.
4. Ist ein Anstieg bei den psychischen Erkrankungen im Erwachsenenalter und bei Kindern und Jugendlichen zu verzeichnen und in welcher Höhe? (Bitte hier die Entwicklung der letzten 5 Jahre darstellen.)
Über den Sozialpsychiatrischen Dienst kann diese Frage nicht beantwortet werden, da die hier eingesetzten Datensätze dafür nicht geeignet sind. Diese Frage könnte lediglich z. T. über Berichte der Krankenkassen (Barmer, DAK, BKK 2019 verzeichnen einen Zuwachs an seelischen Erkrankungen wie Sucht, Depressionen, Ängste/Schlafstörungen…) oder durch Studien z. B. GEDA-Studie (Robert Koch-Institut 2011) beantwortet werden. Im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie verhält es sich ähnlich. Im Bezirk findet keine bedarfsgebundene Datenerhebung statt, daher kann diese Frage nicht beantwortet werden. Die Zuweisungen im KJPD (Kinder- und Jugendpsychiatrischer Dienst) orientieren sich eher an den Schwierigkeiten der Kinder und Jugendlichen bezogen auf das seelische Wohlbefinden bzw. das Verhalten der jungen Menschen, weniger an einer psychiatrischen Diagnose. Hier könnte die Frage ebenso über Krankenkassenberichte (Leistungen nach dem SGB V) oder über Präventionsberichte oder über Studien zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, wie die Bella-Studie (z. B. Bella-Studie – das Modul zur psychischen Gesundheit. Langzeit Studie 2009 -2017) geklärt werden. Im Bezirk besteht keine Möglichkeit eine solche Erhebung durchzuführen.
5. Inwieweit gibt es Angebote, die Menschen mit psychischen Erkrankungen so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung lassen?
Im Bezirk werden die Angebote für Menschen mit einer psychischen Erkrankung lebensweltorientiert und – soweit wie möglich – in der gewohnten Umgebung berücksichtigt. Die Angebote, die im eigenen Wohnraum stattfinden können, werden bevorzugt beispielsweise wie das BEW (Betreutes Einzelwohnen), wenn das für die Menschen ein gewünschtes und bedarfsgerechtes Angebot ist.
6. Welche Angebote sind das?
Die Mehrheit der Angebote im Bezirk sind ambulante Plätze in unterschiedlichen Leistungstypen im Bereich der Eingliederungshilfe. Teilweise werden diese Angebote mit Trägerwohnraum zur Verfügung gestellt. Diese Plätze werden von unterschiedlichen Leistungserbringern, die im Bezirk gut vernetzt sind und die Strukturen des Bezirks kennen, vorgehalten. So wie die bezirkliche Pflichtversorgung es vorsieht, befinden sich alle Wohn- und weitere Räume (z. B. für Gruppenangebote, Büroräume) innerhalb des Bezirks.
Zusätzlich bestehen niedrigschwellige Angebote über Zuwendungsfinanzierung wie z. B. Kontakt- und Beratungsstellen, Beratungsstellen für Suchterkrankungen oder Zuverdienst. Insgesamt stehen im Bezirk für die Versorgung von Menschen mit einer seelischen Behinderung im Rahmen der Eingliederungshilfe aus dem Bereich Psychiatrie (inkl. Sucht) 885 Plätze zur Verfügung, (Stand 12.01.2021):
Betreutes Einzelwohnen BEW: 203
TWG: 13
Verbund (Betreutes Einzelwohnen
mit / ohne Trägerwohnraum, TWG) – VT2: 566 Übergangswohnheim TBU: 32
Beschäftigungstagesstätte TBT: 71
Gesamt: 885
Die unterschiedlichen Angebote reichen von Betreutem Einzelwohnen im eigenen Wohnraum und Appartementwohnen bis zu therapeutischen Wohngemeinschaften. Im Bereich der Beschäftigung gibt es in diesem Kontext die Beschäftigungstagesstätten.
7. Wie viele stationäre Plätze gibt es in den Vivantes Kliniken im Bezirk?
Im Vivantes Klinikum Am Urban stehen 166 vollstationäre Betten (plus 4 Kinder- und Jugendpsychiatrie-Betten (KJP – Fritz) sowie 21 Plätze in Form einer stationsäquivalenten Behandlung (StäB) und 54 tagesklinische Plätze (ambulante Versorgung im Rahmen der Krankenhausversorgung) zur Verfügung.
In der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Vivantes Klinikum im Friedrichshain gibt es 61 vollstationäre Plätze im KFH. Die kumulierte Auslastung vom 01.01.2021 bis 08.06.2021 liegt bei 95,6 % im vollstationären Bereich und bei 95,4 % im teilstationären Bereich.
8. Welche Arbeitsangebote gibt es für Menschen mit psychischen Erkrankungen?
Abgesehen von den Werkstätten für Menschen mit Behinderung (z. B. USE in der Oranienstraße) gibt es im Bezirk im Rahmen der Pflichtversorgung die Zuverdienst-Angebote mit insgesamt 80 Plätzen in unterschiedlichen Bereichen: Botendienste, Büroreinigung, Bibliothek, Kreativ, Wäscherei, Bürodienste… sowie 71 Plätze in den Beschäftigungstagesstätten. Über unterschiedliche Finanzierungsformen (z. B. Jobcenter) werden im Bezirk weitere Angebote angeboten z. B. Job-Coaches, Neue Chance usw.
9. Welche Angebote gibt es für Frauen, Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund?
– Beratung und Begleitung von Menschen mit Behinderung in türkischer und arabischer Sprache – MINA e. V.
– Kontakt- und Beratungsstelle für außereuropäische Flüchtlinge e. V. – KuB
– Beratung und Betreuung von Frauen arabischer Herkunft – Al Dar Arabischer Frauenverein e. V.
– Gesundheitsamt (Standort Kreuzberg, offen für den gesamten Bezirk) – Zentrum für sexuelle Gesundheit und Familienplanung
– VAHA – Gesundheitsberatung für Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund – Bahar e.V.
– Mobile Kontakt- und Beratungsstelle für Menschen mit Fluchterfahrung
– Migrationsberatung – AWO Begegnungszentrum Kreuzberg
– Frieda Frauenzentrum e. V. – Beratung für Frauen
– Interkulturelles Gemeinwesen Zentrum – Bayouma Haus
– Mobile Beratung zu Suchtmitteln für Geflüchtete
– „Peer-Projekt“ Suchtprävention und Suchthilfe von Geflüchteten für Geflüchtete
Darüber hinaus werden im Rahmen der Pflichtversorgung im Bezirk unterschiedliche Einzelplätze für die Versorgung der hier beschriebenen Zielgruppen angeboten.
10. Welche Angebote gibt es bei Gewalterfahrungen und bei Traumata?
Über den Träger MeG (Migrant*innen der ersten Generation) und die enge Kooperation mit dem Zentrum Überleben gibt es eine minimale Versorgung dieser Zielgruppe in unserem Bezirk.
11. Welche Maßnahmen will das Bezirksamt ergreifen, um Menschen mit psychischen Erkrankungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren?
Auch wenn das Bezirksamt originär nicht dafür zuständig ist, werden selbstverständlich Ausschreibungen/Aufrufe für Programme dieser Zielgruppe interessiert verfolgt. Einer der Schwerpunkte liegt hierbei auf frühere Intervention und Aufklärung. Konkret für den Bereich der Menschen mit einer psychischen Erkrankung – inklusive Menschen mit einer Abhängigkeitserkrankung – wird die Thematik Arbeit und Beschäftigung im Rahmen der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft diskutiert und vorangetrieben. Dabei werden Angebote und Projekte weiterentwickelt und Informationen über Möglichkeiten der Integrationsmaßnahmen ausgetauscht. Die Möglichkeit einer geringfügigen Beschäftigung – Zuverdienst – auch als Maßnahme, um die Arbeitsfähigkeit zu erproben, ist eine der Angebotsformen für diese Zielgruppe im Bezirk. Viele weitere Angebote werden über Ausschreibungen und Projekte – z. B. über das BBWA– erprobt und finanziert.
Die Beschäftigung in Werkstätten ist ein weiterer Baustein im System.
12. Welche Maßnahmen will das Bezirksamt ergreifen, um Menschen mit psychischen Erkrankungen ein selbst bestimmtes Leben zu ermöglichen?
Eines der Probleme im Bezirk, damit die Zielgruppe weiterhin selbst bestimmt leben kann, ist der Mangel an Wohnraum bzw. der Mangel an Raum für weitere Angebote im Allgemeinen. Daher setzt sich der Bezirk dafür ein, dass Wohnraum zur Verfügung gestellt wird, sowohl für die Menschen, die aktuell eine Versorgung benötigen als auch für Menschen, die auf Grund der positiven Entwicklung keinen oder einen geringeren Bedarf an Betreuung haben.
Auch der Aufbau weiterer niedrigschwelliger Angebote würde diesen Vorsatz unterstützen und daher setzt sich der Bezirk für eine weitere Finanzierung bzw. für eine andere Form der Finanzierung (z. B. institutionalisierte Budgets) ein. Über den neuen etablierten „Bezirklichen Teilhabebeirat“ wird eine neue Form der Zusammenarbeit und der Kommunikation in dem Bereich der Versorgung für alle Menschen mit einer seelischen Erkrankung vorangetrieben und zusammengefügt.
13. Welche Dichte an psychologischer Betreuung hat der Bezirk?
Diese Frage kann von uns nicht beantwortet werden. Evtl. und nur partiell könnte eine Antwort über die Psychotherapeutenkammer erfolgen.
Mit freundlichen Grüßen
Knut Mildner-Spindler