Je früher Kinder gefördert und Familien beraten und unterstützt werden können, desto eher ist die Grundlage gegeben, Kindern gute Entwicklungschancen zu bieten, das familiäre System zu stabilisieren und den Eltern bei der Entwicklung der erforderlichen Erziehungskompetenzen, aber auch bei eigenen Bildungsanstrengungen oder beruflichen Orientierungen zu helfen. Eine gut aufgestellte Familienförderung bildet somit auch die Basis für präventiven Kinderschutz und funktionierende Frühwarnsysteme

Diese Erkenntnis hat sich nicht nur in der Fachwelt seit längerem durchgesetzt, sondern findet sich inzwischen in jedem relevanten Parteiprogramm dieser Stadt wieder. Wir hören in den Talkshows und lesen in den Zeitungen immer wieder vollmundige Absichtserklärungen der verantwortlichen LandespolitikerInnen, wie wichtig die Frühförderung und Familienunterstützung ist. Besonders häufig kommen diese Absichtserklärungen, wenn es wieder einen dramatischen Fall von Kindesvernachlässigung gegeben hat oder die PISA-Ergebnisse nicht ruhmreich waren… Doch wie sieht die landesweite Wirklichkeit aus? Viele bunte Päckchen werden der Bevölkerung seitens des Senats feilgeboten – in den Päckchen ist jedoch nur heiße Luft! Denn Rot-Rot ist nicht bereit, eine grundsätzliche Haltungsänderung in Berlin zu initiieren. Berlin setzt weiterhin auf teure Hilfen, die erst dann eingesetzt werden können, wenn Kinder und Familien sich bereits in prekären Lebenssituationen befinden. Der Senat verweigert sich, Berlin in eine Kinder- und Familienfreundliche Stadt umzuwandeln. Kinder- und Familienfreundlich heißt z.B., dass allen Eltern Möglichkeiten geboten werden, sich unterstützen, beraten und wenn erforderlich auch helfen lassen zu können, um somit die Startchancen aller Kinder optimal zu gestalten. Familienbildung muss dort stattfinden, wo die Eltern sind, ohne dass sie sich oder ihr Kind zum Problem definieren müssen. Angebote der Familienbildung sowie jeglicher Bildung müssen sich bewusst gegen gesellschaftliche Ausgrenzung und Diskriminierung wenden. Alle Angebote müssen auf der Anerkennung vielfältiger Familienkulturen durch die pädagogischen Fachkräfte basieren, um Erziehungs- und Bildungspartnerschaften aufzubauen und eine demokratisch-partizipative Praxis mit einander entwickeln zu können. Als Jugendstadträtin des Bezirks will und kann ich nicht auf die Landespolitik warten. Die Schwerpunktsetzung der Grünen Jugendpolitik liegt in dieser Legislaturperiode in der Familienförderung und Frühförderung von Kindern.

Familienzentren

Seit November 2006 konnten zu den beiden bereits existierenden Familienzentren zwei neue eröffnet werden, zwei weitere sollen noch in diesem Jahr folgen. An zwei Standorten ist mit dem Aufbau von Kooperationsverbünden nach dem Vorbild der englischen Early Excellence Center begonnen worden, Partner sind jeweils zwei Kitas, ein Familienzentrum, eine Erziehungs- und Familienberatungsstelle und je ein Regionalteam des Jugendamtes. Alle nehmen an gemeinsamen Fortbildungen teil, um den konsequent positiven Blick auf die Entwicklungsprozesse des Kindes für den Dialog mit den Eltern zu lernen. Die Arbeit aller beteiligten Familienzentren, Nachbarschaftshäuser, Mehrgenerationenhäuser, Familientreffpunkte etc. richtet sich zunehmend deutlich an den oben benannten Zielen aus und bezieht aktiv Kitas, Schulen und Gesundheitsprojekte verbindlich ein. In jeder der acht Bezirksregionen im Bezirk soll mindestens ein Familienzentrum eingerichtet werden. Kitas und Schulen werden durch Projekte und Beratung dahingehend unterstützt, ihre Arbeit mit den Familien auszuweiten und mit anderen Einrichtungen und Angeboten im Stadtteil zu vernetzen. Eltern als Repräsentanten verschiedenster Bevölkerungsgruppen und Familienkulturen werden von Einrichtungen als Multiplikatoren gewonnen, um weitere Eltern zu unterstützen und zu aktivieren. Regionale Bildungsbündnisse, besonders in QM-Gebieten, sowie Kooperationen zwischen Tagespflegen, Kitas, Schulen, Familienzentren, Familienberatungsstellen etc. werden initiiert und unterstützt.

Familienbildung

Das schon sehr erfolgreich arbeitende Stadtteilmütterprojekt in Neukölln konnte auch im Ortsteil Kreuzberg an zwei Standorten in Kooperation mit einer Kita, einem Familientreff und einem Mehrgenerationenhaus ins Leben gerufen werden. Weitere sollen im ganzen Bezirk folgen. Verschiedene Elternlotsen-Projekte als Unterstützung für andere Eltern in Wohngebieten und Schulen wurden und werden initiiert. Mehrere FuN-Kurse (Familie und Nachbarschaft) zur Stabilisierung der familiären Beziehungen und Begegnung mit anderen Familien wurden und werden in Kitas und Kinderfreizeiteinrichtungen durchgeführt. Ebenfalls haben wir ein neues STEEP-Projekt (Steps Towards Effective, Enjoyable Parenting) im Ortsteil Friedrichshain eingerichtet, das besonders auf die Stärkung der frühen Mutter-(Eltern-)Kind-Bindung abzielt. Diverse kleine Projekte, vom Gesprächskreis bis zur Wochenendreise, zur speziellen Einbeziehung von Vätern, insbesondere türkischer und arabischer Herkunft, am Ort, Kita bzw. Grundschule befinden sich im Probelauf.

Sprechen fördern

Es konnten in gemeinsamer Anstrengung von Jugendamt, der RAA (Regionale Arbeitsstelle für Ausländerfragen) und verschiedenen QMs 13 „Rucksack-Gruppen“ in Kitas und Grundschulen eingerichtet werden. Es handelt sich hier um ein bereits gut evaluiertes zweisprachiges Elternbildungs- und Sprachförderprogramm für Migranteneltern an Regeleinrichtungen, mit ausgezeichneten mehrsprachigen Materialien und für verschiedene Altersstufen der Kinder, die ständig überarbeitet werden. Das Programm arbeitet gleichzeitig systematisch auf drei Ebenen: Aktivierung und Einbeziehung von Migranteneltern bei der Unterstützung der Bildungsprozesse ihrer Kinder, Fortbildung (von Eltern und Fachkräften) und weitere interkulturelle Sensibilisierung der päd. Fachkräfte sowie Ausbau der Zusammenarbeit mit Eltern, parallelisierte Sprachförderung der Kinder in der Muttersprache und im Deutschen. Durch die Ausbildung einiger Eltern zu Multiplikator/innen (Elternbegleiter/innen) hat es außerdem einen stark emanzipatorischen Charakter. Über die RAA ist eine bundesweite Qualitätssicherung gewährleistet. Die Evaluation findet in Kooperation mit dem Jugendamt statt. Gerade konnten wir außerdem die erste „Griffbereit-Spielgruppe“ in Türkisch und Deutsch in einem unserer Familienzentren starten. „Griffbereit“ stellt als zweisprachiges Programm für die unter 3-jährigen die ideale Ergänzung zu den Rucksack-Programmen für Kita und Schule dar.

Gemeinsam Lernen

Einzigartig in Berlin ist die „Werkstatt Integration durch Bildung“ (WIB), gegründet als gemeinsames Projekt der regionalen Lehrerfortbildung der Senatsschulverwaltung, des Jugendamtes und der RAA Servicestelle für Elternpartizipation und Sprachförderung, um zunehmend auch gemeinsame Fortbildungen und Projekte für LehrerInnen und ErzieherInnen aus Schule und Kita, sowie BibliothekarInnen etc., aber auch Eltern anbieten zu können. Gemeinsame Fortbildungen und Werkstatttage für Eltern und pädagogische Fachkräfte von Kita und Schule zu Themen wie Vorurteile und gegenseitige Wertschätzung, Umgang mit Mehrsprachigkeit etc. konnten bereits organisiert werden. Der Einstieg in eine gemeinsame neue Konzeptentwicklung für Eltern-Deutschkurse der VHS an Kitas und Schulen mit ErzieherInnen, Eltern und VHS-DozentInnen und LehrerInnen ist gelungen, um die Wortfelder stärker an der Einrichtungsrealität zu orientieren und damit die Praxisnähe und Sprechanlässe zu erhöhen.

Von Europa lernen…

Das neueste Projekt ist die Adaptation der französischen „Universités Populaires de Parents“ – also Elternvolksuniversitäten. Hier geht es um die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements von Eltern: Die Elternvolksuniversität besteht aus professionell moderierten Gruppen von Eltern, die mit Unterstützung von Sozialforschern auf wissenschaftliche Weise Fragen zum Oberthema „Eltern sein in der heutigen Zeit“ nachgehen. Vorrangiges Ziel der Gruppen ist es, die Praxiskompetenz von engagierten, aber häufig benachteiligten Eltern zu nutzen. Die dabei erarbeiteten Ergebnisse sollen zugleich auch für andere Eltern nützlich und verständlich sein. Eltern soll damit ermöglicht werden, ihren Standpunkt und ihre „Perspektive“ der Elternschaft zu verdeutlichen und sich damit in die aktuellen Debatten über die Elternschaft, die wesentlich von Experten und von Politikern geführt wird, einzumischen und somit die vorherrschende Meinung über (das Versagen der) Eltern in den so genannten sozialen Brennpunkten zu ändern. Die Eltern werden also selber forschen und nicht als Kursteilnehmer mit vorgefertigtem Wissen versorgt. Bereits seit dem letzten Herbst wurde nach einem geeigneten wissenschaftlichen Beistand für die Forschungssupervision der Arbeit der Elternuni-Gruppen gesucht. Von den Mitarbeitern der Servicestelle und vom Jugendamt konnten Ende Januar Frau Prof. Dr. Heike Weinbach und Frau Dr. Lehmann von der Alice Salomon Fachhochschule Berlin für diese konzeptimmanente Unterstützung gewonnen worden. Als Methoden kommen alle Arten sozialwissenschaftlicher Arbeitsweisen, von Interviews, über Auswertung von bereits vorliegenden Daten, Analyse der vorhandenen Literatur oder auch sozialwissenschaftliche Experimente in Frage. Zusätzlich können künstlerische Methoden, wie das Forumtheater oder moderierte Gruppendiskussionen über einen Dialog mit den Beteiligten zu Forschungsergebnissen führen. Die erste Gruppe im Kreuzberger Wrangelkiez soll von zwei mehrsprachigen Moderatoren begleitet werden, um eine zweisprachige Durchführung besser gewährleisten zu können und Eltern, die noch Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben, den Einstieg zu erleichtern. Eingebettet ist das ganze Projekt außerdem in die Aktivitäten des europäischen Netzwerkes DECET (Diversity in Early Childhood Education and Training), das einen Austausch aller Beteiligter mit den Elternvolksuniversitäten in Frankreich und Belgien zu organisieren versucht. Es bedarf noch vieler gemeinsamer Diskussionen und Anstrengungen von Eltern, Kindern, Fachkräften und PolitikerInnen um gemeinschaftlich die Bedingungen für Kinder, Eltern und Familien in unserem Bezirk nachhaltig verbessern zu können – aber wir haben die ersten Schritte gemacht – auch wenn der Weg lang ist – wir sind losgegangen!

Monika Herrmann, Stadträtin für Jugend, Familie und Schule