Blechlawinen drücken sich durch Wohnquartiere, Parkblech verstopft die Straßen, gefahren und geparkt wird, wie und wo es gefällt und nicht, wie und wo es erlaubt ist. Die Innenstadt kollabiert und die Staus reichen bis in die Außenbezirke. Seit 100 Jahren wird Berlin als Autostadt gedacht und geplant – im Westen wie im Osten – und ist inzwischen am Limit angekommen.

Mit dem Radentscheid und der immer stärker werdenden Klimaschutzbewegung kommt allerdings eine neue Dynamik in die Stadt. Immer mehr Menschen wollen nicht mehr in einer Stadt leben, wo das Auto eine höhere Priorität hat als sie selbst.  Der Paradigmenwechsel „Öffentlicher Raum“ ist nunmehr auch in Berlin eingeläutet.

Immer mehr Bewohner*innen engagieren sich für autofreie bzw. durchgangsverkehrbefreite Wohnkieze. Immer mehr Menschen steigen in den Fahrradsattel und erwarten sichere Radstreifen und sichere Kreuzungen. Zufußgehende haben sich organisiert und haben klare Vorstellungen von und Forderungen nach sicheren und barrierefreien Gehwegen.

In den Außenbezirken wird der schnelle Ausbau des ÖPNV gefordert – Busse, die länger als bis zur Tagesschau fahren und ein deutlicher Ausbau des Tramnetzes. Es braucht Radschnellverbindungen von außen nach innen und Radparkhäuser an den Bahnhöfen.

Der Mobilitätswendeanschluss der Außenbezirke ist zwingend, da es sonst nur sehr schwer möglich ist, den Durchgangsverkehr durch die Innenstadtbezirke deutlich zu reduzieren. Im Moment arbeiten wir mit Diagonalsperren, Einbahnstraßensystemen, Geschwindigkeitsreduzierungen, Pollern, Straßenverengungen, Zebrastreifen, Radstreifen mal protected und mal nicht, Umwandlung von Autoparkplätzen in Fahrradparkplätze. Trotzdem bleibt das Instrument – die nachdrückliche Reduzierung der Anzahl der Autos – als eines der wichtigsten bestehen. Dabei spielt der jeweilige Antrieb des Autos keine Rolle, es geht um eine Minimierung der Quantität. Je weniger Pendler*innen täglich mit dem Auto in die Stadt rein- und rausfahren, umso besser.

Dass die Berliner Regierung es nach so vielen Jahren nicht geschafft hat, den Bund vom Weiterbau der A100 abzubringen, ist mehr als ärgerlich. Autobahnausbau in einer so dicht besiedelten Metropole wie Berlin ist verblechte 70ziger-Jahre Auto-Politik. Die Kosten sind bereits ins Unermessliche gestiegen, wir bräuchten den Platz für Wohnungsausbau – statt immer wieder das Tempelhofer Feld in Frage zu stellen – und wir bräuchten den Platz zum Ausbau von Grünflächen mit Aufenthaltsqualität.

Während CDU, SPD und FDP über Flugtaxis, Seilbahnen und U-Bahnausbau phantasieren, werfen sie uns Grünen gleichzeitig Weltfremdheit vor, wenn wir mit den Anwohnenden und Initiativen über Entsiegelung und Kiezblocks diskutieren. Verkehrspolitik lässt sich längst nicht mehr von einer ganzheitlichen Stadtentwicklung trennen. Solitäre Planungen für ein Verkehrsmittel Auto funktionieren in einer Metropole wie Berlin nicht mehr. Reale Vorbilder aus anderen Großstädten gibt es längst. So ist die 15-Minuten-Stadt ein vielversprechendes Projekt. Die Stadt der kurzen Wege ist ein Leitbild, um bei der Planung wieder den Menschen und seinen Lebensalltag in den Mittelpunkt zu stellen. Alle wichtigen Anlaufstellen wie Einkaufsmöglichkeiten, medizinische Versorgung, Kitas, Schulen und Behörden sollten im Umkreis von 15 Minuten liegen. Die Straßen in den Quartieren bieten nur noch für Zufußgehende und Fahrradfahrende Platz und die Kieze sind möglichst autofrei und vor allem auch barrierefrei. Nicht nur die Luftverschmutzung wird hierbei immens minimiert werden, auch die Aufenthaltsqualität der dort wohnenden Menschen wird sich erheblich verbessern. Autoparkplätze oder Straßen können in Parks, Stadtgärten für Urbanes Gärtnern und Spielplätze umgestaltet oder auch für den innerstädtischen Wohnungsbau genutzt werden.

Noch fällt es vielen Menschen schwer, sich dies vorzustellen. Zu sehr ist das Jetzt in den Köpfen verankert. Das Auto ist überpräsent, was auch nicht verwundert, da es das Stadtbild massiv dominiert. Wenn der Umbau der Stadt gelingen soll, müssen wir uns mit der Bedeutung des Autos für die verschiedenen Autobefürworter*innen auseinandersetzen. Die einen meinen das Auto zu brauchen, weil sie sonst ihren Alltag mit Kindern und Einkauf nicht bewältigen können. Andere sind auf Grund körperlicher Einschränkungen auf das Auto angewiesen. Etliche haben das Auto als Statussymbol. Und für manche ist es das Freiheitssymbol per se. Manche wollen sich schlicht nicht umstellen und meinen, mit dem Auto ginge alles einfacher. Wir müssen also Beispiele, Vorbilder und Alternativen bieten, die einen Umstieg weg vom Auto vorstellbar machen. Wir müssen in der Verkehrspolitik außerdem diverser werden. Welche Bevölkerungsgruppen sind eigentlich maßgeblich dabei und welche beteiligen sich gar nicht bzw. fühlen sich auch nicht angesprochen? Welche Themen müssen wir setzen, damit die Mobilitätswendebewegung noch breiter aufgestellt werden kann, dass sich tatsächlich alle angesprochen fühlen – das sind die Aufgaben, die ebenfalls noch vor uns liegen.

Was jedoch zweifelsfrei feststeht, die Stadt von Gestern und Heute wird nicht mehr die Stadt von Morgen sein. Klimaschutz und Mobilitätswende lassen sich nicht in einige Nebenstraßen verschieben und der Rest bleibt wie bisher. Bereits jetzt ist der Radverkehr massiv angestiegen. Noch mehr Menschen würden Rad fahren, wenn wir eine sichere Infrastruktur hätten. Autolobbyisten merken, dass der Umdenkungsprozess breitere Teile der Bevölkerung bereits erreicht hat und kämpfen um ihren Status Quo. Daher muss die Auseinandersetzung ehrlich geführt werden. Es wird Veränderungen geben. Es wird in Berlin zukünftig deutlich weniger Platz für Autos und deutlich mehr Platz für den ÖPNV, das Rad und den Fußverkehr zur Verfügung gestellt werden. Die Stadt und die erforderliche Infrastruktur werden zunehmend fokussierter vom Menschen aus gedacht werden (müssen).

Monika Herrmann, Bezirksbürgermeisterin

 

Dieser Artikel erschien zuerst im Stachel, der bündnisgrünen Parteizeitung in Xhain.

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