Die neu ins Europaparlament gewählte Abgeordnete Ska Keller aus Brandenburg über Ihren Einstieg in das Straßburger Parlament
Seit vorgestern bin ich eine „richtige“ Europaabgeordnete. Vorher waren wir nur halbe MEPs, ohne Rechte, Büros oder Angestellte. Jetzt habe ich ein Büro, zumindest in Straßburg. In den Nachbarbüros sitzen Jan und Sven, alle mit Fenster zum Innenhof, in dem sich heute – kurz vor Abfahrt – eine riesige Blaskapelle aufgebaut hat. Die Fenster mussten also erstmal geschlossen bleiben, wenn wir telefonieren wollten. Im Büro hatte ich nach einigen Telefonaten und Rumgerenne dann auch endlich Internetzugang. Das Internet war aber nicht die einzige komplizierte Sache. Nach dem Kampf um die WählerInnenstimmen hat jetzt die Verwaltung zum Wettkampf des „Survival of the Fittest“ aufgerufen. Mehr als einmal musste ich an das „Haus das Verrückte macht“ aus „Asterix erobert Rom“ denken, denn in unzähligen Verwaltungsgängen müssen Hausausweise und Email-Adressen erkämpft werden. Aber seitdem wir MitarbeiterInnen haben, können diese sich damit Vollzeit beschäftigen.
Wir Abgeordnete haben derweil abgestimmt. Die Sitzungen in Straßburg finden im Plenarsaal statt, dessen Decke letztes Jahr eingestürzt ist. Da zuckte nicht nur ich bei so manchem seltsamen Geräusch zusammen. Mittlerweile habe ich auch gelernt, wie ich vom Büro über verschlungene Wege dorthin finde. Für alle anderen Wege sollte man sicherheitshalber ein paar Minuten Puffer einplanen – regelmäßig kommen Abgeordnete zu spät zu den Treffen: „Sorry, I got lost“. Dabei hatte ich gedacht, dass ich jetzt, nachdem ich mich innerhalb von nur einer Woche ganz gut in Brüssel zurechtgefunden habe, auch Straßburg meistern könnte. Aber das Parlament hier ist noch ein ganzes Stückchen verwinkelter. Im Plenarsaal am Tag 1 der Straßburgwoche wurde über den Parlamentspräsidenten abgestimmt. Das elektronische Abstimmungstool kam dabei leider nicht zum Tragen. Es wurde schriftlich abgestimmt und jedeR Abgeordnete musste den Stimmzettel in einen Briefumschlag stecken und bei der Abgabe unterschreiben. Dann wurden die Stimmen ausgezählt und die Sitzung unterbrochen – für jeweils fast zwei Stunden. Gleichzeitig mit den Wahlen haben sich auch die Ausschüsse konstituiert. Ich bin im Entwicklungs- und im Innenausschuss. Letzterer beschäftigt sich u.a. mit Grundfreiheiten und Asylrecht. Im Entwicklungsausschuss stellen wir mit Eva Joly aus Frankreich die Vorsitzende und planen bereits unsere Strategie bei einem Fischereiabkommen.
Meine BüronachbarInnen und ich sind uns jetzt schon einig, dass der monatliche Ausflug nach Straßburg nervt. Wir wollen lieber in Brüssel arbeiten und nicht so viel Zeit und Nerven beim Fahren verlieren. In Brüssel haben wir uns mittlerweile ganz gut eingelebt und bekommen am Montag auch endlich unsere Büros. Eine Wohnung in Brüssel habe ich bereits, nur gesehen habe ich sie noch nicht – mein Mann hat sie ausgesucht.
Alles in allem macht die Arbeit im Parlament viel Spaß und ist gleichzeitig extrem anstrengend. Noch dazu sind die Sommerferien gestrichen, weil ich nebenbei noch meine Magisterarbeit schreiben muss. Nächste Woche geht es aber auf jeden Fall wieder nach Brüssel, um inhaltlich zu arbeiten – mit Büro und allem Drumherum.
Ska Keller, Mitglied des EU-Parlaments
EU-Wahl 2009 in Zahlen: 43,3% in Friederichshain-Kreuzberg, 23,6 % in Berlin, 12,2 % bundesweit – Fünf Grüne aus Berlin-Brandenburg von 55 Grünen im Europäischen Parlament! Damit sind wir die am stärksten vertretene Region ganz Europas in der Grünen Fraktion. Ein riesiges Dankeschön an alle, die dabei geholfen haben. |