Bezirksstadträtin Annika Gerold erklärt, warum viele Bäume gefällt werden – und nicht immer nachgepflanzt werden können
Stachel: Wenn der Stachel erscheint, bist Du 146 Tage im Amt – als Bezirksstadträtin für Verkehr, Grünflächen, Ordnung und Umwelt. Kannst Du einem Baum schon ansehen, wenn er krank ist?
Annika Gerold: Das ist gar nicht so einfach. Viele Bäume sehen äußerlich gesund aus. Sie blühen sogar mitunter noch, obwohl sich im Stamminneren eine weitreichende Fäule ausgebildet hat. Das liegt daran, dass Bäume die wasserleitenden und Assimilat leitenden Bahnen im Stammäußeren aufweisen und daher komplett grün aussehen. Einfacher gesagt: Bäume können sehr gesund aussehen, obwohl sie innerlich bereits absterben oder schon abgestorben sind.
Stachel: Bürger*innen reagieren oft mit großem Unverständnis, wenn Stadtbäume gefällt werden. Was sagst Du denen?
Wir fällen keinen unserer Straßenbäume oder Bäume in Grünanlagen leichtfertig! Es muss schon ein triftiger Grund vorliegen, meist ist es potenzielle Verkehrsgefährdung, wenn ein Baum durch Krankheit droht umzustürzen oder Äste herabfallen könnten. Neben der Verkehrsgefährdung sind es häufig Bauvorhaben, die zu Fällungen von Bäumen auf privaten Grundstücken führen. Bauen und Bäume – das ist leider in der Stadt ein Zielkonflikt, den wir nicht umgehen können. Dieses Thema haben wir auch bei unserem Baumgipfel diskutiert, den wir kürzlich gemeinsam mit dem BUND abgehalten haben. Wenn jemand eine gültige Baugenehmigung hat, müssen Fällgenehmigungen erteilt werden. Wenn es dazu kommt, erhalten wir zwar Ausgleichszahlungen, die wir wiederum in neue Bäume und Begrünung investieren können, diese sind jedoch viel zu niedrig. Ein Problem ist auch, dass Bauherren wählen dürfen zwischen Ausgleichspflanzungen und Ausgleichszahlungen. Das führt dazu, dass häufig nicht nachgepflanzt, sondern nur gezahlt wird. Das, was gezahlt wird, ist allerdings zu niedrig, um nachhaltig zu pflanzen. Aktuell haben wir für ein Bauvorhaben beispielsweise eine Summe von 21.000 Euro für den Verlust von fünf Bäumen erhalten. Nachhaltige Pflanzungen von fünf Bäumen sind damit kaum zu finanzieren. Gesetzlich geregelt ist das in der Baumschutzverordnung – hier sehe ich Änderungsbedarf.
Stachel: Sind kranke Bäume denn wirklich so eine große Gefahr?
Sie sind dort eine Gefahr, wo sie komplett oder einzelne Äste auf Straßen oder Gehwege stürzen können und Menschen dadurch zu Schaden kommen können. Wir sehen bei Stürmen häufig, welche verheerenden Auswirkungen dies haben kann, wie kürzlich als der sogenannte „härteste Baum Berlins“ an der Warschauer Brücke umstürzte.
Stachel: Können wir etwas tun, um zu verhindern, dass Bäume sterben?
Durch den Klimawandel wird es immer schwieriger, Bäume in der Stadt zu erhalten. Wir arbeiten daran, indem wir zum Beispiel klimaresiliente Sorten pflanzen. Und wir wollen mit nachhaltigen Pflanzungen dafür sorgen, dass die Bäume mehr Platz im Boden haben. All das kostet aber. Als Bezirk haben wir nicht die notwendigen Mittel dafür.
Stachel: Die Baum-Expert*innen in deinem Amt schätzen ein, dass Xhain mittelfristig ein Drittel seiner rund 42.000 Bäume verlieren wird. Dieses Jahr sollen 2.000 Bäume gefällt werden. Muss das sein?
Wie gesagt, niemand macht sich das Fällen leicht. Es werden mitunter mehrseitige Baumgutachten erstellt, die den Zustand des Baumes genau ausweisen. Die Kolleg*innen im Straßen- und Grünflächenamt setzen sich sehr engagiert für ihre Bäume ein. Natürlich ist es auch unser Ziel als Grüne, so viele Bäume wie möglich zu erhalten. Leider haben die Dürrejahre 2018–2020 zu erheblichen Folgeschäden geführt. Gemäß dem Grünflächeninformationssystem GRIS sind aktuell nur zirka 17 Prozent der Straßenbäume als gesund eingestuft. Wir müssen mit weiteren erheblichen Verlusten rechnen – es ist wirklich dramatisch.
Stachel: Werdet Ihr dort, wo gefällt wird, neue Bäume pflanzen?
Durch die erschwerten klimatischen Bedingungen müssen wir sehr genau prüfen, an welchen Standorten eine nachhaltige Neupflanzung möglich ist. Leider haben aktuell viele der neugepflanzten Jungbäume nur eine vergleichsweise kurze Lebensdauer. Trockenheit, aber auch Begrenzung des Wurzelwerks durch Asphalt erschweren das Anwachsen. Die Böden sind zudem durch die lange Trockenheit kaum in der Lage, Wasser aufzunehmen. Bei allen Umbaumaßnahmen der Innenstadtbereiche wurde die graue Infrastruktur favorisiert und die grüne Infrastruktur vernachlässigt. Die Folgen werden jetzt sichtbar. Es bedarf daher eines neuen und angepassten Regenwassermanagements sowie einer zukunftsweisenden Planung für die nächsten Jahrzehnte und einer ausreichenden finanziellen Ausstattung der Straßen- und Grünflächenämter, damit wir zum Beispiel nachhaltige, ausreichend große Pflanzgruben schaffen können. Anwohner*innen sind diese Hintergründe häufig nicht bekannt. Deshalb gehen bei mir verständlicherweise viele Anfragen zu Neupflanzungen ein. So gerne auch ich wieder mehr Bäume in den Straßen sehen möchte, es muss auch nachhaltig sein. Ich fürchte, wir werden alle Geduld aufbringen müssen.
Stachel: Wie groß ist die Gefahr, dass neue Bäume dann hitzebedingt auch wieder eingehen?
Diese Gefahr ist leider sehr hoch. Durch die zu geringe Menge an verfügbarem Wasser sinkt die Photosynthese-Leistung und damit die Menge der verfügbaren Energie zur Stress- und Schadensabwehr. Daraus resultieren unterschiedliche Schäden, auf die der Baum im Zweifelsfall nicht reagieren kann. Es ist durch bauliche Gegebenheiten und die finanzielle Ausstattung des Straßen- und Grünflächenamtes nicht möglich, alle Bäume zu bewässern oder zu erhalten. Und es ist aus vor dem Hintergrund von Wasserknappheit tatsächlich auch nicht sinnvoll. Der Bezirk konzentriert sich bei der Wässerung auf die Jungbäume. Diese haben zum einen durch ihr noch kleines Wurzelsystem nur einen geringen Wurzelraum erschlossen und es ist technisch noch möglich sie sinnvoll zu bewässern. Auf Grund des Mangels an personellen und finanziellen Ressourcen sowie fehlenden berlinweiten Maßnahmeplänen ist aktuell jeder Bezirk auf sich gestellt.
Stachel: Was kostet es, einen Baum so neu zu pflanzen, dass er nicht eingeht?
Die Baumexpert*innen in meinem Amt berechnen eine nachhaltige Baumpflanzung mit zirka 12.000 Euro inklusive Folgekosten wie Bewässerung und Pflege für mehrere Jahre.
Stachel: Dein Amtsleiter Felix Weisbrich sagte beim Baumgipfel, der Bezirk bräuchte mehr als 15 Millionen Euro jährlich, um den Baumbestand langfristig gesund zu halten. 2021 hat der Senat aber nur 2,45 Millionen Euro gegeben. Das klingt verheerend.
Ja, das ist verheerend. Es gibt hier jedoch Gespräche auch mit der Landesebene. Die Baumschutzverordnung soll novelliert werden und auch die Ausgaben für Straßenbäume haben sich erhöht. Insofern werde ich hier weiter ins Gespräch gehen. Die hohen Kosten sind – wie bei vielen anderen Themen auch – insbesondere ein Innenstadtthema. Wir sind am dichtesten besiedelt, haben oft belastete Böden oder wenig Platz aufgrund der vielen Versorgungsleitungen. Das macht die Pflanzungen teuer.
Stachel: Warum ist das Thema überhaupt so wichtig? Ein paar Stadtbäume werden das Klima nicht retten, oder?
Wenn wir so denken, wird sich nichts ändern. Die Klimakrise ist da und wird sich in den kommenden Jahren noch verschärfen. Extremwetterereignisse werden zunehmen. Die Stadt muss fit gemacht werden für die Auswirkungen der Klimakrise. Es müssen alle Maßnahmen ergriffen werden, die in der Summe den Klimawandel eindämmen können oder für mehr Klimaanpassung sorgen. Bäume sind, das steht außer Frage, CO2-Binder. Und was genau so zentral ist, dass sie in Städten zu Oasen werden können. Sie spenden Schatten und machen die Stadt lebenswerter. Ohne Bäume und Grünflächen wären Städte reine Betonwüsten und würden sich dadurch noch mehr erhitzen. Insofern hat auch jeder Stadtbaum Auswirkungen auf das Weltklima und auf unser Wohlbefinden in unserem direkten Lebensraum. Zudem sind sie Wohnräume für Vögel und Insekten. Auch dieser Aspekt darf nicht unterschätzt werden.
Das Gespräch führte Günter Bartsch
Dieser Artikel erschien zuerst im Stachel, der bündnisgrünen Parteizeitung in Xhain.