Die Skulptur „Der seltene Fang“ im Kreuzberger Viktoriapark zeigt sexualisierte Gewalt in aller Öffentlichkeit. Die Initiative „Nixen- und Meerjungfrauen*solidarität“ kritisiert das und kann mit unserer Unterstützung rechnen.
Ein Spaziergang im Viktoriapark gehört für wahrscheinlich jede*n von uns zu den schönsten Freizeitaktivitäten in Kreuzberg. Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Berg zum Park umgestaltet. Das neu geschaffene „Gebirgsidyll“ wurde zwar als „würdige Kulisse“ für das Nationaldenkmal gewissermaßen im Dienste des preußischen Militarismus erschaffen, doch mit Wasserfall, alten Bäumen und einem für Berlin ungewohnten Ausblick über die Dächer der Stadt, ist es eine wichtige und Erholung bietende grüne Oase in unserem dicht besiedelten Bezirk.
Etwas aber trügt das vermeintliche Idyll: Die Skulptur am Ufer des Teiches, in den der Wasserfall mündet. Sie zeigt einen Mann, offenbar einen Fischer, der eine Frau, offenbar eine ins Netz gegangene Meerjungfrau oder Nixe, gewaltsam festhält. Sie windet sich und will seinen Fängen entkommen – offensichtlich geschieht das Festhalten gegen ihren Willen.
Weder romantisch noch unschuldig
„Der seltene Fang“, von Ernst Gustav Herter geschaffen, steht seit 1896 am Fuße des künstlichen Wasserfalls im Viktoriapark. Den Spaziergang verdirbt sie einem gründlich: Die Skulptur ist weder romantisch noch unschuldig. Hier wird eindeutig die Gewalt eines Mannes über eine Frau dargestellt. Rape culture, also die Verharmlosung und Normalisierung von vergeschlechtlichter bzw. sexualisierter Gewalt, mitten im Viktoriapark!
Konsequenterweise bleiben die Skulptur und ihre patriarchale Botschaft nicht unwidersprochen. Am diesjährigen Frauenkampftag haben Aktivist*innen abermals interveniert und die Skulptur mit einem Schild versehen: „Unsere Gedanken sind bei der Nixe und allen Menschen, die zu Hause, während der Arbeit, im Krieg, auf der Flucht oder woanders sexualisierte Gewalt erleben mussten und müssen. Skulpturen wie diese lassen Übergriffe auf Körper von Frauen* normal und sogar dekorativ erscheinen. Diese Skulptur ist Teil des Problems, denn sexualisierte Gewalt ist keine Deko, sondern ein Verbrechen!“ (nachzusehen auf Twitter: @UndNixen)
Abbau oder Kontextualisierung?
Gemeinsam mit der Initiative beraten wir derzeit geeignete Maßnahmen zum Umgang mit der Skulptur. Wir finden: Diese Skulptur passt so gar nicht zu unserem Bezirk! 126 Jahre dekorative Verherrlichung sexualisierter Gewalt sind mehr als genug! Doch der Abbau der Skulptur wäre keine einfache Option: Der Viktoriapark wurde als außergewöhnliches Parkkunstwerk bereits vor über 40 Jahren als erste Grünanlage in West-Berlin unter Denkmalschutz gestellt. Und vielleicht ist es auch viel wirksamer, sich mit der Skulptur vor Ort auseinandersetzen, statt sie kommentarlos verschwinden zu lassen. Diskutiert wird beispielsweise das Anbringen einer Plakette mit einer kritischen Einordnung oder eine Kontextualisierung durch eine weitere künstlerische Intervention in nächster Nähe der Skulptur.
Den adäquaten Umgang mit Darstellungen von sexualisierter Gewalt im öffentlichen Raum zu finden bedarf in jedem Fall eines gesellschaftlichen Diskurses und breiter Auseinandersetzung. Einen solchen Diskursprozess wollen wir anhand dieser Skulptur gemeinsam mit der Initiative über einen entsprechenden Antrag zum Umgang mit solchen Zeugnissen der Verherrlichung patriarchaler Strukturen im öffentlichen Raum in der BVV anstoßen.
Klar ist: Es handelt sich nicht nur um eine Skulptur in einem Gartendenkmal, die „nunmal Teil des Parks ist“. Es geht um mehr. Es geht um die Darstellung und Repräsentation von Frauen in der Kunst und im öffentlichen Raum und um die Frage, welchen Darstellungen von Frauen wir im öffentlichen Raum unseres Bezirks begegnen möchten? Fällt euch in Friedrichshain-Kreuzberg eine Skulptur oder Statue ein, die eine Frau (auf nicht sexualisierte Weise) darstellt?
Werner Heck und Silvia Rothmund, Bezirksverordnete
Dieser Artikel erschien zuerst im Stachel, der bündnisgrünen Parteizeitung in Xhain.