eingereicht von Dr. Wolfgang Lenk, B’90/Die Grünen 

Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin
Abt. Familie, Personal und Diversity, Straßen-und Grünflächenamt

Ihre Anfrage beantworte ich wie folgt:

1. Wie ist der aktuelle Stand zur Umsetzung eines Berufsbildes Integrations- lots*innen, mit dem seit 2017 versucht wurde, das Lotsenprogramm vermehrt auf stabile Beschäftigungsverhältnisse umzustellen?

Es gibt bisher kein Berufsbild Integrationslots*innen. Zuständig ist die Senatsverwaltung Integration, Arbeit und Soziales (SenIAS) – Bereich der Beauftragten für Integration und Migration Katarina Niewidzial. Die Senatsverwaltung Integration, Arbeit und Soziales möchte in 2021 ein Pilotprojekt gemeinsam mit der Berliner Verwaltungsakademie (VAK) starten, eine Art Verwaltungslehrgang für die Integrationslots*innen, so dass sie bessere Chancen auf reguläre Stellen in der Verwaltung haben. Die Angebote der VaK sind bisher ausschließlich ausgerichtet auf die Aus-und Weiterbildung von Angestellten des Landes Berlin. Dies soll perspektivisch geöffnet werden für die Qualifizierung von Integrationslots*innen. Aus fachlicher Perspektive sinnvoll.

2. Wie viele Integrationslots*innen/Stadtteilmütter sind mit welchen Stunden- volumina in den Förderungsbereichen
a. frühe Bildung, Erziehung und gesundes Aufwachsen,
b. interkulturelle Familienbegleiter*innen (auch in Kitas und Familienzentren),
c. Begleitung von Geflüchteten aktuell unterwegs?

Integrationslots*innen: 13 Integrationslots*innen (Minimum 30h pro Woche und max. 39h) plus 2 Leitungen (1x 39h und 1x 10h)

Stadtteilmütter/-vater: Im Bezirk sind aktuell 26 Stadtteilmütter und 1 Stadtteilvater tätig. Träger des Stadtteilmütterprojektes ist das Diakonische Werk Berlin Stadtmitte e.V.
– 1 Stadtteilmutter ist beim Träger Nestwärme über das Landesprogramm Berliner Familienzentren mit 30 Stunden pro Woche beschäftigt.
– 14 Stadtteilmütter werden über das Landesprogramm Stadtteilmütter der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie mit jeweils 30 Stunden pro Woche finanziert und haben ihren Schwerpunkt im Ortsteil Kreuzberg in den Bezirksregionen I, III und IV.
– 2 Sozialassistentinnen/ interkulturelle Familienbegleiter*innen (ehemalige Stadtteilmütter mit Aufbauqualifizierung) werden über das Jugendamt mit jeweils 20 Stunden pro Woche finanziert und sind überwiegend in der Bezirksregion I eingesetzt.
– 11 Stadtteilmütter und 1 Stadtteilvater werden über § 16 i SGB II beschäftigt mit 7x 20 Stunden und 5 x 30 h pro Woche. Ihr Tätigkeitsfeld liegt schwerpunktmäßig in der Werner Düttmann-Siedlung sowie in der Bezirksregion II.

40 % der Arbeitszeit benötigen die Stadtteilmütter für Vor-und Nachbereitung, regelmäßige Teambesprechungen, Vernetzungsarbeit, Dokumentation, Supervision und Öffentlichkeits- arbeit. 60 % der Arbeitszeit wird für die direkte Arbeit mit den Familien genutzt.
Die Bereiche frühe Bildung, Erziehung und gesundes Aufwachsens finden sich inhaltlich sowohl in der individuellen interkulturellen Familienbegleitung wieder als auch in der interkulturellen Familienbildung in den Einsatzstellen wie Kitas, Schulen und Unterkünften.
Es werden ca. 316 Stunden pro Woche in Einsatzstellen geleistet und davon 20 Stunden in Unterkünften (so der Zugang möglich ist). Aktuell erfolgt eine Verlagerung der Stunden in den öffentlichen und medialen Raum.
164 Stunden in der Woche werden Familien individuell begleitet, davon werden Familien mit aktueller Fluchtgeschichte ca. 50 Stunden pro Woche begleitet.

3. Welche Folgen und Schwierigkeiten kann das Bezirksamt seit dem Beginn der Pandemie für die Lotsenprojekte beobachten bzw. feststellen?

Integrationslots*innen
Der Bedarf an Integrationslots*innen im Bezirk übersteigt nach wie vor die Nachfrage, sie ist eher gestiegen da viele Beratungsstellen oder Behörden weniger gut während der Pandemie erreichbar sind. Die Zahl der derzeit eingesetzten Lots*innen ist im Vergleich zu 2019 um 10 Personen (von 5 auf 15) gestiegen.
Die Aufgaben haben sich verändert. Es findet weniger Begleitung (durch Umstellung auf digitale Behördengänge und telefonische Beratung) statt, dafür gibt es jetzt mehr ausführliche Beratung (nicht nur Verweisberatung wie eigentliche Aufgabe). Außerdem haben sich bestimmte Anfragen für Sprachen geändert, es besteht eine hohe Nachfrage nach Rumänisch, Bulgarisch, Russisch und Georgisch. Tigrinja ist weiterhin sehr gefragt und kann nicht ausreichend abgedeckt werden. Auch Türkisch ist gefragt, es gibt keine Integrationslots*innen für Türkisch (Programm ist für Geflüchtete ausgelegt nicht Menschen mit Migrationsgeschichte).

Stadtteilmütter/-vater
Die Stadtteilmütter sind normalerweise zu zweit regelmäßig in 14 verschiedenen Bildungseinrichtungen, wie Familienzentren, Kitas, Grundschulen und Begegnungsstätten, Unterkünften eingesetzt. In Zeiten von Corona musste die Arbeit umgestellt werden. Eine Herausforderung, die den Stadtteilmüttern gut gelungen ist, war es den Kontakt zu den Familien zu halten als auch neue Kontakte zu Familien aufzubauen. So konnten die Stadtteilmütter nicht mehr wöchentlich in Kitas und Schulen mitarbeiten, sondern waren nur noch bei Bedarf bei Elterngesprächen dabei. Dieser Bedarf ist seit Pandemiebeginn kontinuierlich gestiegen. Der Anteil an telefonischen Beratungen hat stark zugenommen. Dazu gehörte auch, die Familien beim Homeschooling zu unterstützen, den Eltern zu helfen, an die Aufgaben zu kommen und diese zu erklären, Kontakt zur Schule herzustellen, bei der Beantragung von Unterstützungsleistungen wie z.B. den technischen Voraussetzungen, zu helfen. Die Stadtteilmütter waren bei vielen Elterngesprächen in der Schule dabei und haben eine wichtige Brückenfunktion übernommen. In Bezug auf die Pandemie leisten die Stadtteilmütter viel Aufklärungsarbeit und geben den Familien diesbezüglich viele Informationen weiter.
Die Stadtteilmütter sind in Zeiten von Corona für viele Familien die einzigen Ansprechpartnerinnen, da viele Ämter und Institutionen auf digitale Zugangswege umgestiegen sind und hier mehr sprachliche Barrieren entstehen. Auch Gewalterfahrungen und Themen wie Trennung und Scheidung haben zugenommen und wurden an die Stadtteilmütter herangetragen. Familien wenden sich mit fast allen Anliegen an die Stadtteilmütter, was auch zum Teil zu Überlastungen der Stadtteilmütter selbst geführt hat. Die Stadtteilmütter haben neue Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien erworben, um Familien besser erreichen und unterstützen zu können. Inzwischen bieten sie eigenständig Onlineformate zum Beratungs-und Informationsaustausch für Familien, auch für Familien in Unterkünften an.
Viele ihrer Aktivitäten haben die Stadtteilmütter inzwischen nach draußen verlagert, weshalb sie viel stärker im öffentlichen Raum wie auf Spielplätzen, Spielstraßen, vor Supermärkten, Kitas und Schulen ihre Angebote unterbreiten. Folgen und Schwierigkeiten zeigten sich darin, dass Stadtteilmütter oft bis zur eigenen Erschöpfung bereit sind, Familien zu unterstützen, zu begleiten. Zu einem wichtigen Bestandteil der fachlichen Begleitung gehört daher die Arbeit an der Fähigkeit zur professionellen Nähe. Unter den Stadtteilmüttern ist in Zeiten der Pandemie der Krankenstand gestiegen, insbesondere bei den Stadtteilmüttern, die selbst zu Risikogruppen gehören. Von den 26  Stadtteilmüttern sind zu Beginn der 2. Welle im Rahmen von mehreren Wochen allein 11 Stadtteilmütter selbst an Corona erkrankt. Die Stadtteilmütter hatten unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln ja weiterhin mit Familien Kontakt, sie haben die Familien begleitet und waren damit im öffentlichen Raum unterwegs, so dass die Gefahr, sich anzustecken nie vollkommen ausgeschlossen werden konnte.
Unter diesen schwierigen Bedingungen zeigen sich die Stadtteilmütter und der Vater hochengagiert und kreativ, um Familien gut zu begleiten. Den Stadtteilmüttern und Integrationslots*innen gehört unsere Anerkennung. Sie sind die Menschen, die den Kontakt zu den Familien in diesen schwierigen Zeiten aufrechterhalten und Brücken in die Institutionen Kita, Schule sowie zu den Ämtern und Diensten auch während des Lockdown  ermöglichen.

Mit freundlichen Grüßen

Monika Herrmann

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